Kay Jens Petersen, das ist Günther R. Lues: »Zwei Tropfen Gift«, 1940
von Mirko Schädel
Kay Jens Petersen, das ist Günther R. Lues: Zwei Tropfen Gift, Berlin: Auffenberg Verlag 1940, AV-Kriminal-Romane, 256 Seiten
Auch dieses erste Buch von Lues ist ein ungewöhnlich starker Kriminalroman, der souverän und intelligent eine Mordgeschichte erzählt, die vor allem von der Qualität der Figuren und der glänzend geschilderten Atmosphäre lebt. Zur Biographie von Lues bitte den Artikel Kay Jens Petersen: Sturm über den Schären ansehen.
Der Roman spielt in Stockholm und beginnt mit dem unfreiwilligen Erwerb eines Renaissance-Schränkchens durch einen Liebhaber und Sammler von Antiquitäten. Der Millionär Berling, der allem Weiblichen abgeschworen hat, vertieft sich in stiller Kontemplation in seine luxuriösen Sammelgebiete. Die Geschichte wird aus der Perspektive des Rechtsanwalts Terdenghe erzählt, der zu einem Besuch in der Villa Berlings aufgefordert wurde, nicht zuletzt, um die Begeisterung des Hausherrn über seine exklusiven Neuerwerbungen zu teilen. Doch Terdenghe, der weder ein Fachmann, noch ein Liebhaber von Antiquitäten ist, steht verständnislos vor den in seinen Augen wertlosen Trödel.
Am Abend jedoch geschieht ein Mord, denn ein unbekannter Besucher, der dringend mit Berling zu sprechen habe, wird in die Bibliothek gebeten um auf den Hausherrn Berling zu warten. Doch als Berling sich seinem unbekannten Besucher zuwenden will und die Bibliothek betritt, liegt letzterer bereits tot auf dem Fußboden. Terdenghe beschließt seinen Freund, den Kriminalkommissar Axel Lövbjerk zu benachrichtigen. An der Leiche bzw. auf dem Handrücken des Toten werden lediglich zwei parallele Einstiche diagnostiziert, die offenbar ein unbekanntes, schnellwirkendes Gift in den Körper appliziert hatten.
Niemand kann sich diesen Mord erklären, der Tote ist zudem dem Hausherrn Berling vollkommen unbekannt, und dieser kann sich auch nicht erklären, was der Fremde von ihm gewollt haben könnte. Als sich die Gemüter etwas beruhigt haben, zeigt Berling seinem Anwalt Terdenghe noch einen kunstvoll gearbeiteten Renaissance-Schrank, der zufällig in den zeitweisen Besitz Berlings gelangt sei. Berling hatte sich unlängst in Italien herumgetrieben und dort einige Kunstschätze für seine Sammlung erwerben können, unter anderem auch einen Rokoko-Sekretär, doch statt diesem Möbel wurde Berling wohl irrtümlich der wertvolle Renaissance-Schrank zugesandt. Berling fordert nun seinen Anwalt Terdenghe auf, sich mit dem Kunsthändler in Verbindung zu setzen, denn Berling wolle unter allen Umständen das exklusive Möbel behalten. Es handelt sich vermutlich um einen Schrank aus dem Besitz der Familie Medici aus dem 16. Jahrhundert, und er wolle jeden erdenklichen Preis für das Möbel zahlen und es seiner Sammlung einverleiben.
Am nächsten Tag wird auch Berling tot in seiner Bibliothek, unweit des eigenartigen Möbels, aufgefunden und schon phantasieren Terdenghe und sein Freund Lövbjerk über die mutmaßliche Todesursache des alten Sammlers. Auch Berling weist jene zwei Einstiche auf dem Handrücken auf und scheint ebenso einer Vergiftung zum Opfer gefallen zu sein, wie jener unbekannte Tote am Vortag.
Tatsächlich entwickeln die beiden Kriminalisten die Idee, daß der Renaissance-Schrank womöglich über ein Geheimfach verfügt, das mit einer komplizierten Mechanik gesichert ist, die das Gift in den Körper jener Neugierigen spritzt, die sich allzu sehr mit dem Möbel beschäftigen.
Lövbjerk läßt nichts unversucht, er hantiert umgeben von Werkzeugen und seinem Eisendraht-Handschuh an dem Möbel herum, doch scheinbar findet er nicht den Mechanismus – zumindest soweit die Beobachtung seines Freunde Terdenghe reicht.
Weitere seltsame Gestalten tauchen in dem Roman auf, doch einige Zeit kommt die Polizei nicht recht weiter. Dann jedoch äußert sich Kommissar Lövbjerk, denn er hat bereits weitere Informationen gewonnen, die er seinem Freund Terdenghe vorenthielt – und somit auch dem Leser.
Tatsächlich handelt es sich bei dem Renaissance-Schrank aus dem Besitz der Medici um ein Behältnis, das einem genialen Verbrecher lediglich als Versteck für seine Schmuggelware dient. Bei dem Schmuggelgut handelt es sich um riesige Diamanten aus dem Familienerbe eines russischen Fürsten, die diesem in Italien gestohlen wurden. Der geniale Schurke ist ebenso intelligent wie verwandlungsfähig und taucht in verschiedenen Maskeraden auf.
Kommissar Lövbjerk ist sich sicher, daß der Schurke mutig und eitel ist, wie ein narzistischer Pfau und ebenso dreist wie ein mit allen Wassern gewaschener Hochstapler. Lövbjerk läßt das Renaissance-Schränkchen in den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses bringen, denn er ist überzeugt, daß der Gegner vor den Maßnahmen der Polizei nicht zurückschrecken und das Unmögliche versuchen wird.
Ein Commissario aus Italien, der sich mit der Bande des Schurken beschäftigt, ist im Anflug. Dieser Italiener soll Lövbjerk tatkräftig unterstützen und ihn vor allem mit detaillierten Informationen versorgen – darüberhinaus kennt der Italiener die versteckte Mechanik des Geheimfachs, denn er fand ein Pergament mit den Konstruktionsplänen des Schränkchens. Tatsächlich besuchen Ljövbjerk, Terdenghe und der italienische Kommissar den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses und beginnen mit der Untersuchung des antiken Möbels. Doch sowohl dem Leser als auch Lövbjerk erkennen, daß es sich bei dem italienischen Kollegen nur um unseren gesuchten Schurken handeln kann, der sich in den Besitz der Diamanten bringen will. Die Falle schnappt zu, der Schurke suizidiert sich kurz darauf mit Gift – und die rätselhaften Morde sind aufgeklärt. Die ersten beiden Morde sind der Neugier zweier unschuldiger Menschen geschuldet, die sich allzu sehr mit dem Schrank beschäftigt hatten. Ein weiterer Mord geht direkt auf das Konto unseres Verbrechergenies, weitere Morde aus der Vergangenheit werden damit ebenfalls aufgeklärt.
Es gibt noch ein paar Nebenschauplätze bzw. Erzählstränge, die dem ganzen noch mehr Spannung und Eloquenz verleihen – und die ebenso effektvoll und gekonnt eingesetzt werden. Schade, daß Lues nicht noch weitere Kriminalromane verfaßt hat neben den drei bekannten, denn er ist ein veritables Talent und kann sich mit allen seinen zeitgenössischen Konkurrenten deutscher Sprache messen lassen. Seine Romane sind betont unpolitisch und ich nehme an, daß ihm nicht nur das skandinavisch klingende Pseudonym, sondern auch die in Schweden spielende Handlung zur Verschleierung seiner Identität gedient haben muß. Auch das betont unpolitische und somit unauffällige Sujet wird dem Autoren bei der Wahrung seines Pseudonyms geholfen haben.