T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Karl von Raesfeld: »Der Smaragd von Jabalpur« um 1905
von Mirko Schädel



Karl von Raesfeld: Der Smaragd von Jabalpur. Detektiv-Roman, Hamm in Westfalen: Breer & Thiemann um 1905, 203 S.


Der Smaragd von Japalpur ist ein meisterhaft geschriebener Abenteuer- und Detektivroman, der seinesgleichen sucht. Am Anfang des Romans befindet sich der Held der Geschichte, Frank Clifton, auf einem Dampfer, der von Delhi nach Southampton schippert.

Kurz vor seiner Abreise von Delhi wird bekannt, daß der sagenhafte, überaus große und reine Smaragd von Jabalpur gestohlen worden ist – und ein vermeintlicher Dieb, der totgeschlagen wurde, hatte in seiner Faust eine Kopie des Smaragds, der Edelstein ist und  bleibt spurlos verschwunden.

Auf der tristen Seereise macht Clifton Bekanntschaft mit dem reichen, etwas naiven und gutmütigen Amerikaner Lloyd D. Waterman und dessen Tochter Florence. Waterman erzählt eines Tages, daß er nach England reise um ein umfassendes Kulturprogramm zu absolvieren und daneben einen alten Freund aufzuspüren, den er aus den Augen verloren hat, der aber für seinen heutigen Reichtum maßgeblich verantwortlich ist.

Im Gegenzug berichtet Clifton einige Einzelheiten seines Leben, so unter anderem, daß er mit seltenen Antiquitäten, Kuriositäten und Kunstgegenständen handelt, die er in abseitigen Regionen günstig einkauft, und in der Folge in anderen Weltgegenden zu Höchstpreisen verkauft. Er hat bei diesen Geschäften jedoch keinen großen Ehrgeiz entwickelt, so daß er immer so viel Geld sein eigen nennt, daß es ihm erlaubt nicht in Verlegenheiten zu kommen und dabei die Welt zu bereisen.

Auch berichtet Clifton von einem Freundschaftsdienst, den er einem russischen Kollegen namens Woltscheff zu Gute kommen läßt, denn dieser läge noch in Delhi mit hohem Fieber und bat Clifton eine Kiste mit einem Dutzend kaiserlichen Tokayer, 80 Jahre alte Flaschen, mit nach London zu nehmen, da Woltscheff sich davon ein gutes Geschäft verspricht, denn letzterer rechnete mit einem Verkaufserlös von 100 Pfund.

Als Waterman sich dies anhört, entwickelt sich der Wunsch nach einer Verkostung des wertvollen Weins und bietet Clifton 100 Pfund für die Kiste, aber Clifton lehnt ab, da er nicht sicher ist, was Woltscheff tatsächlich mit dem Tokayer vorhabe. Doch Waterman läßt nicht locker und entwickelt ein immer größer werdendes Interesse und bietet nun 200 Pfund für das Dutzend, und er lädt Clifton dazu ein eine Flasche der Marge beim Essen zu verkosten.

Clifton, der einsieht, daß es wohl kein besseres Geschäft geben könne für seinen Bekannten Woltscheff, geht auf den Vorschlag widerwillig ein – und zur Feier des Tages wird eine der Flaschen serviert. Der Wein, der sehr süß und wohl mit einem leichten Lagerschaden behaftet ist, wird getrunken – und Waterman erklärt, er betrachte das ganze Geschäft als ein kleines Spekulatiönchen, denn er plane in Southampton die restlichen elf Flaschen in eine Auktion zu geben.

Einige Tage später in Southampton wird der Plan umgesetzt, doch der Wein wird zu lächerlich geringen Preisen verauktioniert. Clifton und Waterman samt Tochter trennen sich vorerst, hoffen aber sich noch im Laufe der nächsten Wochen wiederzusehen. Clifton reist nach London und nimmt sich ein Hotelzimmer, schon am nächsten Morgen taucht Woltscheff auf und fragt nach dem Dutzend Flaschen edlem Tokayer, doch als er hört, Clifton habe die Partie für vorteilhafte 200 Pfund verkauft, stöhnt Woltscheff auf und behauptet, er sei ruiniert. Langsam dämmert es Clifton, daß es in den Flaschen einen wertvolleren Inhalt geben muß und kombiniert, daß es sich womöglich um den Smaragd von Jabalpur handeln könne – und man ihn, Clifton, mißbraucht habe um das wertvolle Diebesgut unauffällig aus Indien heraus zu schaffen.

Es beginnt eine wilde Jagd nach den Flaschen, aber diese wurden an ganz unterschiedliche Leute verauktioniert, die teilweise als Barzahler nicht mal mit dem Namen bekannt waren, denn Clifton reist am selben Tag noch zurück nach Southampton und nimmt Kontakt zu einem Bediensteten des Auktionshauses auf. Clifton ist seinem Widersacher Woltscheff immer einen Schritt voraus und es kommt durchaus zu sehr witzigen Verwicklungen. Ich mußte bei der Lektüre mehrfach amüsiert und lautstark auflachen.

Auch der Bedienstete des Auktionshauses erinnert sich noch nach und nach an den einen oder anderen Stammkunden des Hauses, der wohl auch eine Flasche ergattert habe. Besonders ein alter Sammler aus der Umgebung Southamptons gerät ins Visier Cliftons, der in seiner Tasche noch eine seltene chinesische Malerei vorrätig hält, die er zu verkaufen beabsichtigt. Als Clifton erfährt, daß dieser Sammler, Mr. Cyril Hatherley, auf asiatische Kunstgegenstände spezialisiert ist, sieht er seine Chance gekommen, eine weitere Flasche Tokayer zu ergattern.

Clifton schreibt einen freundlichen Brief an Mr. Hatherley, der ihn auch umgehend auffordert am nächsten Tag bei ihm vorzusprechen um die Malerei zu präsentieren. Der spleenige Sammler macht auf Clifton einen unvorteilhaften Eindruck, auch die Begeisterung für das Kunstobjekt, das in der Einladung Hatherleys noch enthusiatisch gefeiert wurde, verblasst, als Hatherley das wertvolle Original in Händen hält.

Doch lädt Hatherley sein Gegenüber zu einem kleinen Imbiß und ein paar Gläsern Tokayer ein, was ganz im Sinne Cliftons ist. Dabei entschuldigt sich Hatherley immer wieder für einige Augenblicke mit der Begründung, daß seine Haushälterin  ernsthaft erkrankt sei und er immer mal wieder nach ihr sehen müsse. Die Flasche Tokayer wird während der Abwesenheit Hatherleys von Clifton untersucht und er stellt fest, daß auch diese Flasche nichts weiter enthält als alten Wein. Nur Hatherley kommt von seiner letzten Abkunft nicht mehr zurück – bis Clifton beschließt ihn im Hause zu suchen.

Er ruft Hatherley beim Namen, doch alles ist still und so geht er langsam durch das finstere Haus bis er auf der Kellertreppe die Leiche einer Matrone entdeckt mit eingeschlagenem Schädel, dabei handelt er sich vermutlich um die Haushälterin. In der Bibliothek findet Clifton den Hausherrn, den wahren Hatherley, der mit durchschnittener Kehle in seinem Lehnstuhl sitzt. Nun weiß Clifton, daß ihn der Mörder empfangen und bewirtet habe, und ruft in der Nachbarschaft um Hilfe.

Die Polizei verhaftet Clifton, doch schon am nächsten Tag wird er wieder aus der Haft entlassen. Von dieser skandalösen Mordaffäre berichtet auch die Presse, und zufällig liest Waterman, daß sein Freund Clifton Cyril Hatherley ermordet habe, jenen Hatherley, dem Waterman sein Vermögen verdankte und den er in England gesucht hatte.

Waterman reist mit seiner Tochter Florence nach Southampton und läßt sich die ganze Geschichte von Clifton erzählen, der bereits außer Verdacht steht. Auch berichtet Clifton von seiner Idee, daß der Smaragd von Jabalpur in eine der Flaschen stecke, die Waterman bei ihm gekauft habe, während Waterman gesteht, daß er eine dieser Flaschen von einem Käufer der Auktion zurückgekauft habe, um diesen edlen Tropfen in den Vereinigten Staaten jemandem als Mitbringsel zu schenken.

Natürlich wird auch diese Flasche untersucht, doch auch hier ist kein Beiwerk zu finden. In dieser Art nimmt die Scharade Ihren Fortgang, dabei ist es ein Genuß den Einfällen des Autors folgen zu können. Es finden weitere Verbrechen statt, und die Polizei wird eingeschaltet und arbeitet mit Waterman und Clifton gemeinsam an der Aufklärung der verschiedenen Morde. Für Freunde des Exotismus läßt der Autor auch zwei bösartige Inder agieren, die nicht nur jeden töten, der ihnen im Weg steht, sondern auch geheime Botschaften schicken, die schwer zu enträtseln sind.

Dieser Roman hat alles, was man von derartiger Literatur erhofft: Charme, Witz, Stil, Atmosphäre und Spannung; die Konstruktion ist meisterhaft, doch leider ist es mir weder gelungen bis zum heutigen Zeitpunkt den Autor zu identifizieren, noch nähere Auskünfte über den Übersetzer geben zu können. Ein gelungenes Meisterwerk in seiner Art, hervorragend übersetzt und ein Glanzpunkt des Genres, dabei aber leider von ungeklärter Herkunft. Übrigens sprachlich so zeitlos, daß man es in dieser Übersetzung als stilsicheren, zeitgenössischen Roman nachdrucken könnte.

Ich vermute, daß die deutsche Originalausgabe als Broschur vermarktet wurde, in all den Jahren meiner Sammlertätigkeit bin ich nur ein einziges Mal auf dieses Buch gestoßen, eine private Halbleinenbindung – und bin froh, daß ich es entdeckt und eingekauft habe.