James Morgan Walsh: »Geheimnummer 10«, 1935
von Mirko Schädel
James Morgan Walsh: Geheimnummer 10, Berlin: Aufwärts-Verlag 1935, 252 Seiten, Schutzumschlag von R. Hegemann
James Morgan Walsh, 1897–1952, wurde ursprünglich in Australien geboren, lebte aber seit 1925 in England und war ab 1923 als freischaffender Schriftsteller tätig. Die grünen Augen, 1930, beziehungsweise Geheimnummer 10, 1935, sind die zwei ersten deutschen Ausgaben von The Images of Han von 1927. Es gab vor 1945 noch zwei weitere deutsche Ausgaben des Romans beim Zeitschriftenverlag und als 30-Pfennig-Roman beim Aufwärts-Verlag.
James Morgan Walsh: Die grünen Augen, Berlin: Steegemann 1930, 237 Seiten, Schutzumschlag von Hussmann
Geheimnummer 10 ist ein in London spielender, atmosphärischer Thriller mit zahlreichen exotistischen Elementen und erzählt die Geschichte der jungen Miß Hampton, die mit ihrem schrulligen Onkel einen schwunghaften Antiquitätenhandel betreibt. Miß Hamptons Eltern sind bereits verstorben, ihr Vater starb beim Boxer-Aufstand in China, und von diesem bekam sie vor seinem Ableben ein paar chinesische Pretiosen geschenkt, die Miß Hampton als Erinnerungsstücke äußerst lieb sind.
Bei den antiken Stücken handelt es sich um einige 2000 Jahre alte Speckstein-Schnitzereien mit Tierdarstellungen des berühmten Künstlers und Giftmischers Han – der chinesische Borgia genannt, sowie ein ziemlich wertloser chinesischer Talisman mit der Darstellung eines recht unbekannten Götzen, den grüne Glasaugen zieren, die wie Smaragde ein ziemliches Feuer entfachen.
Nachdem diese Pretiosen jahrelang vollkommen unbeachtet in einem Regal des Antiquitätenladens vor sich hinstaubten, beginnt plötzlich ohne ersichtlichen Grund ein wahrer Wettlauf um den Erwerb dieser Stücke. Es wird mehrfach und immer wieder in das Ladengeschäft eingebrochen, doch kommt es in der Folge auch immer wieder zu rätselhaften Todesfällen, die mit den Einbrüchen in direktem Zusammenhang stehen müssen. Scotland Yard vermutet, daß jemand eine Giftschlange in dem Laden ausgesetzt haben müsse, denn die Todesopfer weisen meist an den Handinnenfläche kleine Einstiche auf, die wie Schlangenbisse aussehen, nur daß die kleinen Einstiche nicht zu der Anzahl von zwei Giftzähnen passen wollen, denn meist handel es sich um vier, drei oder fünf dieser rätselhaften Einstiche, die nach wenigen Minuten zum Tode führen.
Man vermutet natürlich, daß der Jadegötze mit den grünen Glasaugen möglicherweise einen Bezug zu den Todesfällen hat, aber alle Untersuchungen führen zu nichts, es läßt sich nichts an der Figur entdecken, keine Nadeln, kein Mechanismus usw. Auch ein sympathischer junger Mann namens Weatherby spielt eine erhebliche Rolle, dieser undurchsichtige Zeitgenosse behauptet gerade aus China heimgekehrt zu sein, er verkehrt durchaus in sehr zwielichtigen Kreisen, wo er als Kapitän bekannt ist. Wetherby ist ein häufiger Gast in dem Laden von Miß Hamptons Onkel – und er beteuert immer wieder, daß er sehr an dem Götzen interessiert sei, er wolle ihn erwerben. Der Leser als auch unsere jugendliche Heldin ahnen, daß er weit mehr über den Götzen weiß, als jeder andere. Er warnt die junge Dame auch vor einem Chinesen namens Wo-Pen, der offenbar immer neue Einbrecher und Räuber beauftragt sich des Götzen zu bemächtigen. Der Polizei ist Weatherby jedoch auch ein Dorn im Auge, sie halten den jungen Mann für verdächtig, so daß Weatherbey zunehmend im Verborgenen operieren muß.
Bei einem jener Einbruchsversuche in der Nacht wird Miß Hamptons Onkel ermordet, und so steht die junge Dame nun vollkommen hilflos da – mit Ausnahme Weatherbys, der nachts um den Laden herum schleicht und offenbar um das Wohlergehen Miß Hamptons besorgt ist. Nur ein Freund ihres Onkels drängt sich vorsichtig in das Leben Miß Hamptons und erklärt, daß sie in sein Haus ziehen solle, denn da könne ihre Sicherheit gewährleistet werden.
Weatherby gelingt es sich des Götzen zu bemächtigen, er schraubt an den Glasaugen herum und entdeckt dahinter eine Höhlung in dem beschriftetes chinesische Reispapier verborgen ist, das er sich aneignet, die Figur zurück an ihren Platz legt und dann verschwindet. Miß Hampton zieht zu dem Freund ihres Onkels und hofft sich dort einige Zeit verbergen zu können.
Um es kurz zu machen, natürlich ahnt der Leser, daß die chinesischen Schnitzereien oder der Jade-Götze für die Vergiftungen verantwortlich sind. Weatherby, der Mitglied des britischen Geheimdienst ist und die Nummer 10 erhalten hat, die auf einer kleinen bronzenen Plakette eingraviert ist, war in China an der Aufdeckung einer großen Verschwörung beteiligt. Um seine Legende dem Gegner schmackhaft zu machen, galt er als in Ungnade gefallen bei seinen britischen Landsleuten. Seine Fähigkeiten sind vor allem linguistischer Natur, denn er versteht etliche chinesische Dialekte. Ein paar chinesische Verschwörer, die damit beschäftigt sind in Europa Gelder zu akquirieren für ihre revolutionären Aktivitäten, sind zufällig auf die Schnitzwerke des Han aufmerksam geworden, die sich im Besitz von Miß Hampton befinden.
In jenem Schriftstück, das Weatherby mühsam zu entziffern und zu übersetzen sucht, steht, daß die Schnitzereien des Han mit einem Mechanismus gesichert sind, der Unbefugte und Unwissende mit einer vergifteten Nadel sticht, die zum Tode führt. Teile dieser Figuren lassen sich nämlich abschrauben und verbergen die im Inneren befindlichen Juwelen. Auch Miß Hamptons Bekannter, jener alte Freund ihres Onkels, will sich in den Besitz dieser Steine bringen, wie dieser jedoch in Kenntnis dieses Geheimnisses gelangt ist, bleibt uns der Autor schuldig.
Neben etlichen Exkursionen nach Lime House in das Chinesenviertel und die üblichen Opiumhöhlen läßt Walsh nichts aus, was dem üblichen exotistischen Tamtam entspricht. Natürlich verlieben sich Miß Hampton und Weatherby gleichermaßen ineinander und der Roman endet mit deren Heiratsversprechen.
Insgesamt ist Geheimnummer 10 ein wirklich spannender und romantischer Kriminalroman, der vor allem von den mystifizierenden Klischees dominiert wird. Ob nun der staubige Antiquitätenladen in dem sensationelle Kostbarkeiten und ethnologischer Kitsch sich gleichermaßen tummeln, oder die Sammler dieser Artefakte, die dort ein- und ausgehen, aber auch die exotistischen Motive, die breit aufgefächert präsentiert werden und vor keinem Stereotyp zurückschrecken, sind amüsant und unterhaltend.