Jack F. Bennet: »Das linke Auge des Vierten«, 1931
von Mirko Schädel
Jack F. Bennet: Das linke Auge des Vierten, Berlin: Eden-Verlag 1931, Der moderne Roman Band 26, 237 Seiten, Schutzumschlag von der Werbeagentur De Buley unter Verwendung eines Fotos von Paramount [für den Aufkleber auf dem Schutzumschlag von Zeitschriften Pollischansky in Wien hätten die Verursacher eine Tracht Prügel verdient]
Jack F. Bennet ist das unaufgelöste Pseudonym eines deutschen Unterhaltungsschriftstellers.
In Das linke Auge des Vierten, 1931, werden vier sogenannte Gewohnheitsverbrecher auf bestialische Weise umgebracht. Die Kriminalpolizei in Berlin ermittelt, Leiter der Abteilung ist Kriminalrat Holt, Kriminalkommissar von Darren beschäftigt sich mit diesen Mordfällen, deren grausige Gemeinsamkeit darin besteht, daß der Mörder nach seiner Tat den Opfern die Augäpfel entfernt hat. Von Darren vermutet eine Reihe von Racheakten unter Kriminellen. Aber sein Kollege Acken scheint anderer Meinung zu sein und stellt seine eigenen Ermittlungen an. Acken ist ein schmächtiger Kerl mit Knollnase und gilt als Mann für besondere Fälle, er ist nicht direkt Teil der Kriminalpolizei, nicht beamtet, sondern nimmt eine Sonderstellung in der Behörde ein.
Während sich der junge von Darren in eine hübsche, reiche, junge Witwe verliebt, ermittelt der erfahrene Acken den vermeintlichen Drahtzieher dieser vier Morde. Dabei handelt es sich um einen wohlbeleumdeten Arzt, Erfinder und Forscher, der offenbar im Stillen eine kriminelle Bande geleitet hatte. Doch kurz nachdem Acken seinem jungen Kollegen von seinen Ergebnissen erzählt, wird Dr. Grove Opfer eines tödlichen Autounfalls. Seine Leiche ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt im Wrack des Automobils geborgen worden.
Ackens Ermittlungen werden dennoch fortgeführt und schon bald teilt er dem Kollegen von Darren mit, daß die Leiche sicher nicht mit dem Verbrecher Grove identisch sei. Grove lebe noch und halte sich in Berlin auf, er habe die Identität eines Amerikaners namens Mr. Long angenommen und von Darren stellt bestürzt fest, daß jener Mr. Long um seine Angebetete herumscharwenzelt. Es kommt auch zu Machtdemonstrationen der beiden Kontrahenten im Hotelzimmer der Dame. Nachdem von Darren jenen Grove/Long offen mit einer Haftstrafe droht und zu erkennen gibt, daß er den Identitätsdiebstahl durchschaut, verläßt der Amerikaner fluchtartig das Schlachtfeld.
Währenddessen mietet sich Acken ein Zimmer bei einer Berliner Witwe, er gibt sich als Rentner zu erkennen und noch am Abend zieht er in seine neue Wohnung, wo er unentwegt eine Schmiedewerkstatt beobachtet, die sich direkt gegenüber seiner neuen Behausung befindet. Gegen Abend trifft von Darren in Peter Ackens Wohnung ein, Darren hat sich als Postbote getarnt und die beiden Kriminaler sind sich einig, daß sie nun in ständiger Lebensgefahr sind, denn der Amerikaner Grove/Long werde alles daran setzen sie auszulöschen. Der Amerikaner hat sich auch tatsächlich bereits dem Zugriff der Behörden entzogen, doch Acken ist sich sicher, daß der Schurke die Stadt noch nicht verlassen hat, da er noch geschäftlich gebunden sei.
Auch von Darrens Angebetete ist spurlos verschwunden, was den jungen Mann begreiflicherweise nervös macht. Acken ruft seine Wirtin und drückt ihr 20 Mark in die Hand um etwas Essen kommen zu lassen, doch als die Wirtin nicht zurückkommt und ein beinah lautloser Schuß das Mauerwerk bei Ackens Wohnung trifft, wissen die beiden Kommissare, daß man ihnen nun das Lebenslicht auslöschen möchte.
Von Darren gelingt es sich an einer mehrfach geschlungenen Wäscheleine in den Innenhof abzulassen, wo es zu einem Schußwechsel kommt, gleichzeitig stürmt Acken durchs Treppenhaus und verfolgt zwei Schurken. Die beiden Beamten treffen im Innenhof aufeinander. Zwei der Schurken sind tot, einen haben sie gebunden und nun fordern sie Verstärkung an, um die Schmiede gegenüber hochzunehmen und Teile der Bande in Gewahrsam zu nehmen.
In der Folge kommt es nun zu Verfolgungen, Drohungen, dem üblichen Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Schurken, das recht langweilig ist. Der Roman nimmt deutlich an Qualität ab. Acken, der die These vertrat, daß Dr. Grove alias Mr. Long ein Forscher und Erfinder gewesen sei – und aus diesem Grunde seine Mordopfer tötete um Ihnen die Augäpfel zu entnehmen, entwickelt sich zu einer falschen Fährte und einer grotesken Posse. Die alte pseudowissenschaftliche Theorie wird hier zitiert, daß auf der Netzhaut eines Mordopfers sich der letzte Blick des Sterbenden festsetzt – und so der Mörder mittels fotografischer Technik wieder sichtbar gemacht werden kann.
Doch Dr. Grove alias Mr. Long ist nicht der, für den Acken ihn gehalten hat. Grove ist zwar ein Verbrecher, Kopf einer kriminellen Bande, hat jedoch mit diesen Morden offenbar nichts zu tun, stattdessen ist Dr. Steveson der Mörder, der im Umfeld der Polizei tätig war – der jedoch der Verhaftung durch einen tödlichen Unfall entgehen kann.
Die ganze Theorie der entnommenen Aufäpfel, auch die von Darren aufgefundene Fotographie der Netzhaut des vierten Mordopfers sind reine Finten, die den Roman tatsächlich spannend machen, die aber wie blindschiessendes Wurzelwerk ins Nichts greifen. Weder findet der Autor am Ende zu einer plausiblen Erklärung der Geschehnisse, noch erfährt der Leser die genauen Tatumstände oder die Motive der Täter. Auch die eigentlichen Verbrechen von Grove/Long bleiben dem Leser unklar. Er habe eine Bande von Kriminellen geleitet, aber womit sich diese Bande beschäftigt haben soll, wird nicht weiter erklärt.
Am Schluß verläßt von Darren den Polizeidienst, da er seine millionenschwere Witwe heiratet – Peter Acken bleibt seiner Berufung jedoch treu. Das Ende wird zunehmend von melodramatischen und schwächeren Passagen dominiert und der Leser hat den Eindruck, daß die Lust und die Kraft des Erzählens nahezu erloschen sind – während der Anfang des Romans durchaus vielversprechend war.
Die Konstruktion des Romans läßt sehr zu wünschen übrig, obgleich die sprachlichen Mittel und auch die komischen Szenen einwandfrei gearbeitet sind, erweist sich die Dramaturgie der Geschichte als völlig verfehlt. Der Autor hatte Talent, vielleicht fehlte ihm nur ein geeigneter, kritischer Gesprächspartner um aus diesem Tohuwabohu einen gelungenen Kriminalroman zu machen.