J. Davids: »Die goldene Lotusblume. Chinesischer Mysterien-Roman«, 1928
von Mirko Schädel
J. Davids: Die goldene Lotusblume. Chinesischer Mysterien-Roman, Meissen: A. M. van den Broecke 1928, Roman-Serien-Bibliothek Band 6, 72 Seiten
Über den niederländischen Autor J. Davids ist nichts bekannt, man weiß lediglich von seiner Jack Jackson-Serie, innerhalb derer vier Detektivromane erschienen sind zwischen 1922 und 1925, wovon aber nur einer ins Deutsche übersetzt wurde, nämlich Der Mann mit dem Pelz, 1923 [De man met den pels, 1922]. Darüberhinaus ist ein weiterer Detektivroman unter dem Titel Die goldene Lotusblume. Chinesischer Mysterienroman, 1928 [De gouden lotus, 1926] in einem kleinen Meissener Verlag erschienen, der ganz offensichtlich von einem Niederländer geführt wurde und eine überaus interessante Reihe namens Serien-Roman-Bibliothek herausgab.
Der Held in diesem Roman ist der 25jährige Georg Geerling, der nach der Handelsschule als Korrektor bei einer Tageszeitung landet und umgehend in einen Strudel der abenteuerlichsten Ereignisse gerät. Jung, naiv und ehrgeizig gelingt es Geerling, da ein anderer Journalist krankheitshalber seiner Tätigkeit fern bleibt, einen Auftrag für ein Interview vom Chefredakteur zu erhaschen, der sein Können auf die Probe stellt.
Geerling soll ein Interview mit Prof. Yo-Him führen, der mit seiner Entourage im besten Hotel Den Haags abgestiegen ist. Darunter befinden sich auch die zwei chinesischen Prinzessinnen Xivine und Ive. Geerling, der befürchtet seinen Artikel mit dem Interview nicht frühzeitig genug produzieren zu können, kommt auf eine trickreiche Idee. Er ruft die Redaktionssekretärin an und bittet diese ihm fünf Visitenkarten auf den Namen Baron Sardos, Gesandter der mexikanischen Republik, drucken zu lassen. Daraufhin wendet er sich an einen Kostümverleih, wo er eine prächtige Phantasieuniform samt fingierter Ordenspracht leiht. So verkleidet und mit den Visitenkarten ausgestattet gelingt es Geerling tatsächlich Zugang zum Empfang Prof. Yo-Hims zu erlangen.
Jedoch nach kurzer Zeit durchschaut Yo-Him die Schmierenkomödie und als Gerling auch noch mit einer der Prinzessinnen über deren Abzeichen der Geheimgesellschaft der goldenen Lotusblüte ein argloses Gespräch führt, platz Yo-Him der Kragen und bittet Gerling umgehend die Veranstaltung zu verlassen.
Doch Gerling verschwindet keineswegs, stattdessen schleicht er Yo-Him und der Prinzessin hinterher in den ersten Stock in deren Privatgemächer. Nachdem er dort an der Tür ein gehöriges Gewimmer wahrnimmt, stößt er die Tür auf und sieht, wie die Prinzessin von Prof. Yo-Him mit einer Peitsche gezüchtigt wird. Geerling zögert nicht und eilt der Dame zu Hilfe, doch Yo-Him wendet einen Jiu-Jitsu-Griff an um Geerling unschädlich zu machen.
Yo-Him scheint auch noch über andere geheimnisvolle Kräfte zu verfügen, doch beschwichtigt die Prinzessin ihren Onkel und nimmt Geerling das Versprechen ab das Gesehene nicht in seinem Artikel zu verwerten. Geerling nimmt an, daß Yo-Him damit lediglich die Züchtigung gemeint habe, die er verschweigen soll – und ist auch dazu bereit. Yo-Him entschuldigt sich bei Geerling und versichert, daß er lediglich aus Gründen wirtschaftlicher Handelsbeziehungen nach Holland gekommen sei.
Nachdem der äußere Schein wiederhergestellt und die Verabredungen getroffen worden sind, macht sich Geerling unten im Festsaal des Hotels einen unbeschwerten Tanzabend. Dabei verliebt er sich in die Prinzessin Ive, die ihrerseits Zeichen des Interesses sendet, und die übrigens weniger dem asiatischen Typhus als dem europäischen entspricht. Noch in der Nacht schreibt Geerling seinen Artikel, der auch ausufernd und kenntnisreich die Geheimgesellschaft der goldenen Lotusblüte behandelt, da der junge Journalist einst einen chinesischen Freund hatte, der Mitglied in diesem Geheimbund war, doch leider irgendwann spurlos von der Bildfläche verschwand. [Ach, je!]
Dann erfährt der Leser von einem geselligen Beisammensein der Mitglieder der Geheimgesellschaft in jenem Hotel, wo sich Prof. Yo-Him als deren Hauptvertreter oder Anführer zu erkennen gibt und jener Prinzessin Ive den Auftrag erteilt Geerling innerhalb der nächsten vier Wochen ins Jenseits zu befördern. Ive zeigt für diesen Auftrag wenig Begeisterung, denn sie liebt Geerling.
Währenddessen werden Geerlings Vater und auch seine Schwester von ihrem gemeinsamen Arbeitsgeber vor die Tür gesetzt – natürlich hat Yo-Him seine Hand dabei im Spiel. Als Geerling Ive von der Sache erzählt, kümmert sie sich um die Verwandten ihres Liebhabers und besorgt einen Ersatz, sie stellt die beiden selbst in ihrem eigenen Unternehmen, einer Tee-Handelsgesellschaft in Den Haag, ein. Die Tage, die die beiden Verliebten verleben, vergehen wie im Flug. Der Termin der Ermordung Geerlings rückt näher. Doch scheint Ive ihren Auftrag nicht ausführen zu wollen und so läßt Yo-Him die beiden in eine einsame Villa in Scheveningen entführen, wo sie in ein fensterloses Gelaß gesperrt werden in dem mit Gift präparierte Tapeten die Wände zieren, so daß ein Handlanger des goldenen Lotus nur die Heizungsanlage auf Höchstleistung trimmen muß, damit die Giftstoffe sich in ein nicht nachweisbares Giftgas verwandeln. So weit so gut.
Doch Yo-Hims Plan wird durch John, dem treuen Diener Ives, vereitelt. Yo-Him entwickelt aber bereits einen neuen Plan und lockt das feindselige Liebespaar auf eine Jacht in Marseille, von wo die beiden nach Hongkong entführt werden. Auch hier spielt nunmehr der blinde Passagier John sein Unwesen und verunsichert die Brüder des goldenen Lotus nachhaltig.
In Hongkong gelingt es Ive und John die Todesstrafe Geerlings in einen Gnadenakt zu verwandeln. Geerling lebt bei einem chinesischen Prinzen und Jünger des goldenen Lotus, der ihn mästet, ehe er ihn der Vernichtung preisgeben will. Doch scheint der Prinz auch eine Vorliebe für Ive zu haben, die er zu einer Heirat nötigt. Im Gegenzug läßt er Geerling in einer Zeremonie zu einem Mitglied des goldenen Lotus werden, mit allen Schwüren und dem ganzen anderen Brimborium.
Doch ein paar Tage später entdeckt der Prinz unabsichtlich, daß seine Braut doch eher Geerling zugeneigt ist und fühlt sich betrogen. Diesen verschwörerischen Augenblick nutzt Geerling für einen Überraschungsangriff, er schlägt dem Prinzen mit der Faust auf die Schläfe, packt seine Braut und fliehend ruft er noch John zu sich, der sich den Fliehenden anschließt. Sie wenden sich bereits mit den Verfolgern im Rücken Richtung Hafen, wo sie auf ein englisches Schiff hetzen. John kümmert sich um die Verfolger, wird verletzt, aber auch ihm gelingt es den Fuß auf das Schiff zu setzen.
Nun stehen die Flüchtlinge unter englischem Schutz. Die wochenlange Heimreise kann beginnen. John stirbt auf der Überfahrt nach wenigen Tagen, er wurde von einer vergifteten Pfeilspitze verletzt, als er jene chinesischen Verfolger abwehrte. Kurz vor seinem Tod erklärt er Ive noch, daß sie englischer Herkunft sei – nicht Chinesin wie angenommen, und daß ihre Mutter womöglich noch lebe. Das Paar gelangt problemlos nach Marseille, fährt mit der Eisenbahn nach Den Haag und feiert bei Geerlings Chefredakteur seine Rückkehr.
Geerlings Eltern, die ihren Sohn für Tod hielten, da Yo-Him deren Selbstmord fingierte, werden vorsichtig von der Heimkehr Geerlings benachrichtigt. Und die Polizei wird verständigt, die in der Folge den Führer des goldenen Lotus in Brüssel festsetzt.
Der eigentliche Zweck von Yo-Hims Treiben in Den Haag wird nur beiläufig erwähnt. Es handelt sich dabei um eine Art politische Verschwörung, die Indo-China und somit die holländischen Kolonien, in den Besitz und die Einflußsphäre Chinas bringen soll. Darüberhinaus scheint der goldene Lotus ein nationalistischer, monarchistischer Geheimbund zu sein, der die Wiedereinführung des chinesischen Kaiserthrones einfordert.
Yo-Him ist ein Prachtexemplar eines asiatischen Schurken, ein stereotyper chinesischer Unhold, dem in dem Buch auch magische Kräfte nachgesagt werden, die sich aber im nachhinein allesamt als Tricksereien herausstellen. Überhaupt ist auffällig wie stark diese Figur des Prof. Yo-Him von Fu Manchu und seinem Seelenverwandten Dr. Nikola beeinflußt ist, doch bei allem naiven Charme dieses Roman, reicht Yo-Him nicht an seine Vorbilder heran. Dennoch gelungen sind die ersten Kapitel, wo wir mit dem Alltagsleben eines Zeitungskorrektors vertraut gemacht werden, mit den Sorgen und Hoffnungen eines jungen Mannes in Den Haag, der ein bislang langweiliges, kleinbürgerliches Leben geführt hat und nun in diesen Strudel von Abenteuer und Exotismus gerät. Damit gelingt dem Autor ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit, die er jedoch im Verlauf nach und nach aufs Spiel setzt – und wieder verliert.
Sein Yo-Him ist böse und verschlagen und hat all die Eigenschaften, die man zu der Zeit den Asiaten böswillig und gern unterstellt hat – und die keinen Bezug zur Realität haben. Diese Art der Ausbeutung stereotyper literarischer Figuren war damals in Mode. Yo-Him, der überall auf der Welt gleichzeitig sein kann, Yo-Him, der wissenschaftlich gebildete Giftmischer, Yo-Him, der magischen Ritualen dienende Exot, der mit maskenartig versteinerter Miene und starrem, willenstarken Blick umherschleichende Intellektuelle, der seinen Gegnern immer um ein paar Schritte voraus ist, usw.
Der Autor hat sich da ganz an die Traditionen seiner Vorbilder angelehnt, es hat ihm etwas der Mut gefehlt seinen Superschurken mit noch exzentrischeren Eigenschaften auszustatten oder dessen Grausamkeit kontrastreicher und eigenwilliger zu illustrieren. Diese Figurenzeichnungen vertragen viel Tamtam, sind es doch nur diabolische Schemen einer überspannten und auf Auflage abzielenden Phantasie – fehlt es aber etwas an der Phantasie des Autors diese Art Figuren ins rechte Licht zu rücken, dann verpufft der Effekt und der Schurke wird zu einem Schürkchen. Dennoch hat mich der Roman amüsiert und in Spannung versetzt, doch wurde aus dem fleischlichen Tiger recht bald ein papierner.