Hugo Krizkovsky: »Autobus R. 27«, 1929
von Mirko Schädel
Hugo Krizkovsky [auf dem Schutzumschlag: Krizkowsky], besser bekannt unter seinem Pseudonym Hugo Maria Kritz: Autobus R 27, Berlin: Eden-Verlag 1929, Der moderne Roman, 254 Seiten
Hugo Krizhovsky benutzte meist das Pseudonym Hugo Maria Kriz [auch: Kritz], 1905–1988, war ein deutsch-österreichischer Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor.
Autobus R. 27, 1930, ist ein sehr spannender und sorgfältig ausgeführter Schauer- und Kriminalroman, der eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Reisenden beschreibt, die den Autobus von einem Kurort zum nächsten Bahnhof nehmen um sich von da aus wieder in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Aber zuvor kommt es zu einem Achsbruch des Busses in jener kalten, stürmischen und verregneten Septembernacht. Der Busfahrer nahm eine Nebenstrecke, da die Hauptstraße durch die Regengüsse unpassierbar wurde, und so landet die Gruppe sprichwörtlich im Nirgendwo. Nach dem Unfall rappeln sich die Fahrgäste notdürftig auf und beratschlagen was zu tun sei. Der Busfahrer erinnert sich an ein einsames Haus, das nicht weit vom Unfallort entfernt sein soll. Nur eine Passagierin, eine alte Bäuerin aus der Umgebung, wehrt sich mit Händen und Füßen dieses Mordhaus zu betreten, denn dort seien bislang zwei Morde vorgekommen, die nie aufgeklärt wurden – sie erzählt den Passagieren die unheimliche Geschichte des Hauses.
Dennoch begibt sich die Gruppe in das Haus und man richtet sich notdürftig ein. Ein Feuer wird im Ofen entfacht. Zum Anführer avanciert der Kammersänger Ullmann, dem die Zigaretten ausgegangen sind. Ullmanns Frau, die Schauspielerin Gertie Kadenberg, hat zwar noch eine Packung, will diese aber nicht abgeben. Stattdessen erbarmt sich der Busfahrer Novotny und überreicht Ullmann feierlich eine Zigarre. Die beiden Herren unterhalten sich leise, kurz darauf verlassen sie den Raum um sich das Haus anzusehen – tatsächlich ließ Novotny durchblicken, daß sich in seiner Manteltasche eine Flasche mit Hochprozentigem befindet. Die beiden Männer bewaffnen sich mit einer der zwei Petroleumlampen aus dem Bus, und gehen in den Innenhof. Dort steht eine riesige Hundehütte und in einem unbedarften Augenblick stürmt eine mächtige Dogge aus dem Gelaß und versucht Ullmann zu beißen, doch glücklicherweise leidet nur seine Hose unter diesem Vorfall.
Da das Haus offensichtlich unbewohnt ist, wundert sich nach der Rückkehr der beiden die ganze Gesellschaft über die Gegenwart eines Wachhundes. Später stellt sich heraus, daß noch eine zweite Dogge dort an der Kette liegt – und das jemand den Tieren den Wassernapf aufgefüllt haben muß. Es kommt zu mehreren unheimlichen Szenen, die an einen Schauerroman erinnern, und im Verlauf wirkt der Roman zunehmend grotesk, denn tatsächlich taucht aus dem Nichts ein buckliger Zwerg namens Dr. Juhl auf, der sich gut zu benehmen weiß und außerordentlich zwielichtiger Natur zu sein scheint. Die Gruppe wird im Verlauf auseinandergerissen, denn Teile davon werden in dem Mordhaus in diverse Räumlichkeiten eingesperrt, es kommt auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einstigen Passagieren.
Die Bäuerin, die als einzige in dem Wrack des Autobusses verblieben war, scheint auch getötet worden zu sein – zumindest erfährt der Leser dies an einer Stelle, ohne das dieser Todesfall näher erläutert wird. Und der Zwerg Dr. Juhl gibt sich als Erfinder einer Gedankenlesemaschine zu erkennen. Der Leser folgt mit Spannung den wahnwitzigen und teilweise absurden Handlungssträngen, die wie ein Filmskript einander abwechseln.
Auch eine Romanze zwischen Novotny, dem Busfahrer, und einer jungen Dame names Marzella aus Berlin, Tochter eines Millionärs, wird recht glaubhaft in Szene gesetzt und verstärkt die Motivation einiger handelnder Personen derart, daß die Spannung sich durch diesen Kunstgriff sogar noch steigert. Ein weitere Person, offenbar ein Komplize Dr. Juhls, wird in die Geschichte eingeführt, der ebenso exzentrische Eigenschaften hat, wie sein Brotherr Dr. Juhl.
Am Ende bemüht sich Dr. Juhl, der übrigens in einem Kellergeschoß modernster Bauart 15 Meter unter dem alten Haus wohnt und dort auch sein Laboratorium bewirtschaftet, der jungen Dame namens Marzella den kleinen Finger zu amputieren. Auch die Leiche einer etwa gleichaltrigen jungen Dame namens Dorothy spielt in dem irrwitzigen Roman eine Rolle. Doch die Rettung naht in Form eines Berliner Kriminalkommissars, der am Ende die notwendigen Schritte tut und den Schurken Einhalt gebietet.
Der sich gelegentlich sehr distinguiert gebende Dr. Juhl, der auch zeitweise das Vertrauen einiger versprengter Passagiere genießt, ist eine Mischung aus Dr. Frankenstein und einem bösartigen Schurken voller diabolischer Intelligenz – ähnlich zynisch und unsympathisch wie sein dienstbarer Komplize namens Percy, der in bayerischen Lederhosen herumstolziert und den überaus schwarzen Humor eines Briten besitzt.
Dr. Juhl erklärt übrigens in einer Episode, er sei der Enkel der ehemaligen Besitzer des Hauses, und er sei einige Jahre in den USA gewesen bis ihm das Haus als Erbe zufiel. Er ließ das alte Gemäuer abtragen, um anschließend in 15 Meter Tiefe eine unterirdische, hochmoderne Wohnanlage mit Fahrstühlen in Stahlbeton-Konstruktion erbauen zu lassen. Nach Fertigstellung seines Rattenbaues habe er aus Sentimentalität das alte Haus über seiner Wohnanlage unverändert wieder aufbauen lassen.
Die Bäuerin am Anfang des Romans, die zwei Mordgeschichten zum Besten gab, erzählte auch von jenen Großeltern, denen das Haus einst gehörte, die allerdings vermutlich von ihrem aus der Art geschlagenen Enkel grausam getötet wurden, doch ließen sich keine Beweise für die Schuld des Enkels finden. Dr. Juhl muß also mit jenem Enkel, der seine Großeltern ermordet hatte, identisch sein. Nur fällt das den Figuren des Romans nicht weiter auf, nur der Leser erinnert sich noch an diese Geschichte und kann die Fäden dieser Erzählung zusammenführen.
Kritzkowsky hat hier eine Glanzleistung abgelegt, denn sowohl Tempo als auch die Konstruktion dieses filmischen Romans sind perfekt komponiert, auch die Figuren, die zwar allesamt aus dem Klischeebaukasten stammen, werden treffend und lebendig skizziert. Besonders hervorzuheben ist einer der Mitpassagiere, ein gewisser Max Sewald, ein Buchhandelsvertreter, der mit obszönem, pornografischem Material handelt und davon gut leben kann. Bei Sewald handelt es sich um einen Feigling und um einen schmierigen, unsympathischen Charakter erster Güte. Desweiteren die witzige Figur des Grafen, der für erhebliche Aufregung sorgt, denn der gute Mann ist Patient einer Irrenanstalt, und während der Ereignisse in dem unheimlichen Haus gerät auch der Graf in einen Anfall von irrer Mordlust – und verbreitet Angst und Schrecken. Ihm an die Seite gestellt ist der Krankenpfleger Minter, ein nüchtern denkender Kerl, der Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Auch eine Berliner Matrone, die allen gleichermaßen auf die Nerven geht, findet hier und da Erwähnung.
Robert N. Bloch wies mich auf eine gewisse Ähnlichkeit zu J. B. Priestleys Roman Benighted, 1927, hin. Nachdem ich mich oberflächlich mit diesem Stoff auseinandergesetzt habe, halte ich es durchaus für möglich, daß Kritz hier eine eigene Version dieses Horrorklassikers geschaffen hat. Nicht nur hat er die Handlung von Wales nach Deutschland verlagert, die Figuren glaubhaft germanisiert, sondern er hat dem Hauptteil des Romans eine gänzlich neue, eigene Handlung angedeihen lassen. Es handelt sich also nicht um ein Plagiat, sondern eher um eine Romanadaption des Stoffes von Priestley. Daß Kritzkowsky Priestleys Roman gekannt haben muß, halte ich für wahrscheinlich. Beweisen läßt sich das sicher nicht, aber es gibt schlicht zuviele Parallelen zwischen den beiden Romanen, als daß man diese für einen Zufall halten könnte. Es gibt zu dem Ganzen auch noch eine rationale Kriminalhandlung, die jedoch eher im Hintergrund eine eher unbedeutende Rolle spielt.