Hermann Müller-Leoni: »Nummer 18 rechnet ab«, 1936
von Mirko Schädel
Hermann Müller-Leoni: Nummer 18 rechnet ab, Leipzig: Payne 1936, Paynes Abenteuer-Romane Band 3, 261 Seiten
Elias W. Morel, Präsident der Nationalbank in New York, ist Mittelpunkt einer Gangsterscharade, die überwiegend in den bayerischen Alpen spielt. Morel ist nicht nur ein Abziehbild eines verbrecherischen Großkapitalisten und ein Sinnbild des Größenwahns, er ist darüberhinaus ein Schurke erster Güte, der sich durch eine Gesichtsoperation und mehrere Morde eine neue Identität hat schaffen können.
Als Morel von den Erfindungen des deutschen Professors Thelemann erfährt, beschließt er, koste es was es wolle, sich dieser Erfindungen zu bemächtigen. Prof. Thelemann muß so oder so den aufgezwungenen Verträgen Morels zustimmen, doch der Professor denkt gar nicht daran, sondern beabsichtigt diese Erfindungen dem deutschen Volke zu widmen. Dessen ungeachtet hält man den Professor in erpresserischer Absicht in einer Höhle eines Gebirgszuges gefangen.
Es handelt sich gleich um zwei bedeutende Erfindungen, die durch die Thelemann’schen Strahlenröhren verwertet werden können. Zum einen geht es darum mit Hilfe der Gesetze der Kernphysik unbegrenzte Energie, also Strom und Wärme, zu erzeugen – zum anderen geht es um den mittelalterlichen Traum des Goldmachens, denn mit der Thelemann’schen Strahlung läßt sich unedles Metall in Gold verwandeln.
Letzteres interessiert vor allem Morel, den amerikanischen Kapitalisten, der die Weltherrschaft anstrebt. Doch die dunkle, mörderische Vergangenheit Morels ist auch einigen Widersachern bekannt, die seit nunmehr 25 Jahren damit beschäftigt sind Morel zu Fall zu bringen. Einer der Direktoren Morels, nämlich der Direktor Nr. 18, hat sich in den Konzern eingeschlichen um Rache zu nehmen. Dazu bedient er sich einer ganzen Armada von Helfershelfern.
Diese unübersichtliche Menge von Handlangern bevölkert den Roman, der recht vielversprechend beginnt, dann aber dramaturgisch in ein völliges Chaos stürzt. Müller-Leoni scheint nur ein einziges Buch geschrieben zu haben, und wenn man dem Autor auch ein gewisses Maß an Talent nicht absprechen kann, so muß man doch froh sein, daß diese Schriftstellerkarriere frühzeitig beendet wurde.
In der ersten Hälfte des Romans ist an der Geschichte nichts auszusetzen, auch die Verwendung des bayerischen Idioms ist reizvoll und deutet auf die süddeutsche Herkunft des Autors. Doch die zweite Hälfte und vor allem das Ende des Romans berichtet auf verwirrende und ausufernde Weise von den Einzelheiten dieser großangelegten und undurchschaubaren Intrige. Am Schluß versteigt sich der Autor dann zu einer nationalsozialistischen Idylle von deutschem Bauerntum, die ihresgleichen sucht. Zum Glück verzichtet Müller-Leoni auf antisemitische Stereotype, seine moralische Kritik richtet sich vor allem und ausnahmslos gegen den amerikanischen Lebensstil, der durch den schier grenzenlosen Kapitalismus bereits den Keim des Gangstertums in sich trägt. Daraus läßt sich auf den typischen Minderwertigkeitskomplex der Nazis schließen, die vor der Moderne zurückschrecken und stattdessen in historische Hirngespinste flüchten.
Witzig und ironisch wird noch die Geschichte des Tatzelwurms in den Roman eingebaut, denn das Fossil dieses Fabeltiers wurde angeblich vor kurzem gefunden und im paläontologischen Institut ausgestellt. Dabei sind sich die Wissenschaftler nicht ganz sicher, ob das Wesen bereits ausgestorben oder noch vereinzelt in einsamen alpinen Gegenden zu finden sei. Der Tatzelwurm verfügt über einen Stummelschwanz, der ihn zu einem sprunghaften Fortkommen verhilft. Dazu besitzt der Tatzenwurm das Maul einer Giftschlange mit zwei obligaten Giftzähnen, nur ist das Maul des Tatzelwurms etwa zehnmal größer als das einer Kreuzotter.
Am Ende stellt sich heraus, daß einer der Gangster über eine mechanische Biß- und Stichapperatur verfügt, die einem Schlangenbiß ähnliche Verletzungen zufügt und ein Gift in den Körper des Opfers appliziert, das absolut tödlich ist. Diese Morde wurden dem Tatzelwurm in den Wurmfortsatz geschoben.
Das Frauenbild des Autors ist völlig indiskutabel, die einzige weibliche Figur in diesem Buch ist die Tochter des Professors Thelemann, die sich in dessen Gehilfen verliebt hat und zum dummen Blondchen mutiert, das nur noch den holden Worten ihres Gebieters gehorcht. Ein Schäferhund namens Blondie hätte mehr von Emanzipation verstanden, als diese Klischeetorte. Auch ein Kapitel in dem die Nationalbank in New York und also Morels Schaltzentrale ausgeraubt wird, ist abenteuerlich. Denn aus dem Nichts tauchen etliche Chinesen auf, die den Tresorraum der Bank ausrauben – weshalb es sich bei diesen Handlangern nun um Chinesen handelt bleibt unklar. Vermutlich fand Müller-Leoni einen Roman ohne schurkische Chinesen einfach langweilig.
Bis etwa zur Hälfte liest sich dieser phantastische Kriminalroman als ein typischer Thriller seiner Zeit, wobei die sprachliche Qualität im Gegensatz zu den damaligen Konkurrenzprodukten durchaus positiv auffällt. Doch dann verliert der Autor den Überblick über seine zahlreichen Protagonisten und glaubt, er könne die verschwurbelte Geschichte auflösen und zu einem plausiblen Ergebnis führen.
Stattdessen reißt der Autor sein Publikum in ein nicht nachvollziehbares und langweiliges Chaos und flankiert dies noch mit einem nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Idyll. Der vielversprechende Anfang und das relativ hohe sprachliche Niveau ließen auf einen spannenden Roman hoffen, doch die Hoffnung war trügerisch. Damit ist auch dieses Buch ein typisch zweit- oder drittklassiger Kriminalroman, wie so viele deutschsprachige Romane jener Jahre.