Herman Middendorp: »Das Geheimnis von Cuba«, 1928
von Mirko Schädel
Herman Middendorp: Das Geheimnis von Cuba, Meissen: Adriaan van den Broecke 1928, Serien-Roman-Bibliothek Band 3, 78 Seiten, großoktav, Umschlag von Gelbhaar in Meissen
Hermann Middendorp, 1888–1941, war ein talentierter Sherlock Holmes- und Ivans-Epigone, der einige zeitgemäße Detektivgeschichten veröffentlicht hat. Insgesamt sind rund 20 Detektivromane von ihm in der Niederlande erschienen, davon wurden immerhin sechs Titel ins Deutsche übersetzt, von Ivans lediglich vier Titel und von Havank nur ganze zwei Titel.
Middendorp schuf ein klassisches Sherlock Holmes- und Dr. Watson-Duo mit seinen Helden Henry Crampten und Dr. Eduard van Buuren, letzterer erzählt die Abenteuer Henry Crampton mit der typischen Naivität eines Dr. Watson.
In Das Geheimnis von Cuba befindet sich Dr. van Buuren in Brüssel und gerät zufällig in eine Mordaffäre bei Leuten, die ihm nur oberflächlich bekannt sind. Auf einem Empfang, wo Dr. van Buuren als geladener Gast teilnimmt, findet ein Giftmord im Hause der Familie de Souillac statt. In dem Haus leben die drei Brüder de Souillac, nämlich Edmond, Raoul und Alphonse, sowie die äußerst attraktive Tochter Alphondes namens Pauline de Souillac.
Einer der Brüder namens Edmond ist überraschend an einem mit Zyankali versetzten Keks ins Jenseits befördert worden, niemand hat etwas gesehen, auch die Dienstboten sind verwirrt, arglos und haben keine nennenswerten Beobachtungen gemacht. Raoul de Souillac ist blind, und er ist auch die treibende Kraft, die dafür sorgt, daß Dr. van Buuren seinen berühmten Freund den Detektiv Henry Crampten für die Aufdeckung dieses Mordfalls hinzuzieht.
Crampton wird telegraphisch von dem Mord benachrichtigt und trifft bereits am folgenden Tag in Brüssel ein. Die üblichen Befragungen werden ebenso durchgeführt, wie die peniblen Untersuchungen des Tatorts. Während Dr. van Buuren naturgemäß im Trüben fischt und wenig Phantasie sein eigen nennt, hält sich Crampton weitestgehend bedeckt – und auch die hinzugezogene Polizei scheint das Kapitalverbrechen mehr zu verwalten, als es ausermitteln zu können.
Gelegentlich wird auch Dr. van Buuren für Beschattungen und andere zeitraubende Aufgaben herangezogen, doch scheint er nicht zu wissen zu welchem Ziel seine Aufgaben führen werden, während Crampton durchaus etwas zu wissen scheint.
Die Vermögensverhältnisse des Familienclans sind recht übersichtlich, allen drei Brüdern gehört jeweils ein Drittel des Vermögens und der gemeinsam betriebenen Automobilfabrik. Doch Crampton weiß, daß der unangenehme und unhöfliche Alphonse de Souillac etwas zu verbergen hat. Alphonse ist es auch, der eine undurchsichtige Vergangenheit in Cuba hatte – und offenbar erpreßt wird.
Nach dem Mord an Edmond zieht die Restfamilie jedoch in eine andere Villa, die unweit des Familienunternehmens gelegen ist. Dort wird kurz darauf Alphonse ermordet, seine Leiche findet sich von einer Schußwunde entstellt in einem Zimmer des Obergeschosses. Naheliegend ist es immerhin, daß die Erpressung in irgendeiner Weise in die Mordgeschichte involviert ist, doch Crampton ist überzeugt, die Erpresser sind nicht die Mörder, man tötet nicht die Kuh, deren Milch man trinken will.
Bei Raoul, dem verbliebenen der drei Brüder, findet sich auch die Tatwaffe, ein Revolver, der vor kurzem benutzt wurde. Während dieser ganzen Episode bahnt sich auch eine zarte Romanze zwischen dem Detektiv Henry Crampton und Pauline de Souillac, der Millionenerbin, an, doch scheint Pauline auf das Erbe ihres verhaßten Vaters verzichten zu wollen.
Selbst Raoul de Souillac, der Blinde, schließt sich seiner Lieblingsnichte an und verzichtet offenbar aus Verachtung auf sein Erbe, doch wird er in Untersuchungshaft genommen, da man bei ihm die Tatwaffe sichergestellt hat.
Während nun Dr. van Buuren mit seiner herbeigerufenen Gattin einige Tage auf Wunsch Henry Cramptons Urlaub macht, entwickeln sich die Dinge in Brüssel zwar langsam aber stetig weiter. Nach etwa einer Woche erhält Dr. van Buuren ein Telegramm von Crampton, der ihn und seine Gattin zurück nach Brüssel ordert. Dort wird dem Ehepaar van Buuren das frischverliebte Verlobungspaar Henry Crampton und Pauline de Souillac vorgestellt, und der Leser ahnt, daß es nun ums Ganze geht.
Einen Augenblick später greift Crampton nach seinem Revolver und verhaftet seine Verlobte, desweiteren einen jungen Mann, der im Obergeschoß in einem Schrank Zuflucht nahm. Die ganze Geschichte ist folgende:
Alphonse de Souillac, der einst auf Kuba als Tabakpflanzer gearbeitet hatte, beging einen Mord an einem Geldboten, den er am Ufer eines Flusses vergrub. Bei einer Gelegenheit im angetrunkenen Zustand berichtete er diesen Mord seinem besten Freund, der wiederum viele Jahre später Alphonse mit der Mordsache erpreßt. Gleichzeitig wuchs die Tochter des Erpressers bei Alphonse auf, vermutlich adoptierte er sie, nämlich jene Pauline de Souillac, die ihrerseits nur Interesse an dem Vermögen der verhaßten Familie hatte.
Als die junge Dame mit einem entfernten Verwandten der Familie de Souillac bekannt wurde und sich mit diesem jungen Mann anfreundete, beschloß das ehrenwerte Paar sämtliche Brüder de Souillac zu ermorden um dann das gesamte Vermögen unter sich aufzuteilen. Zu diesem Zweck heuchelte Pauline nicht nur ihre Liebe zu dem Detektiv Crampton oder zu ihrem Onkel, dem blinden Raoul, sondern sie spielte allen die treuherzige und von ihrem Vater mißhandelte junge Frau vor.
Während Paulines Kompagnon Edmond de Souillac mit Zyankali vergiftete, erschoß Pauline kurz darauf ihren Adoptivvater Alphonse. Als nächstes hätte Raoul sterben müssen, wenn er nicht aus der Not geboren als Hauptverdächtiger hätte herhalten müssen. Mit dem Tod der Brüder hätte jener Verwandte aus dem Nichts das Erbe angetreten und mit Pauline geteilt, die immer öffentlich ihr Erbe ausgeschlagen hatte und also unverdächtig war.
Crampton, der seine Verlobte durchschaut hatte, wußte um die Gefahr in der Raoul schwebte und ließ ihn schon aus diesem Grunde in polizeiliches Gewahrsam nehmen. Er entdeckte die Schuld Paulines an kleinen Details in ihren Aussagen und an der alten Frage Cui bono? Er ahnte, daß bereits ein weiterer Hintermann in die Mordpläne Paulines eingeweiht war.
Die spannungsträchtigen falschen Fährten dieses Romans sind erstklassig, die Romankonstruktion ist gelungen, auffallend ist auch Middendorps Sorgfalt, die er seinem Text angedeihen läßt. Für Sherlock Holmes-Fans dürfte das Büchlein eine gelungene Abwechslung darstellen, denn die Geschichte folgt erheblich der inneren Logik eines Sherlock Holmes-Abenteuers.