T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Hendrik De Molder: »Spuk«, 1924
von Mirko Schädel



Hendrik De Molder: Spuk, Berlin: Kurt Ehrlich 1924, K.E.-Bücher Band 12, 158 Seiten, Umschlag von Conny


Hendrik De Molder ist vermutlich ein flämischer Schriftsteller, ich konnte leider nichts über den Autor in Erfahrung bringen. Möglicherweise war er ein Feuilletonautor, der wohl zu unrecht vergessen worden ist.

Spuk, 1924, ist sowohl eine Huldigung Brüssels, als auch eine Art okkulter Kriminalroman und erinnert von ferne an Leo Perutz’s Meisterwerk »Nachts unter der steinernen Brücke«. Mit diesem Text hier hatte De Molder sicherlich nicht die Absicht lediglich zu unterhalten, sondern das Büchlein ist der Versuch eine volkstümliche Dichtung in Form einer Sage oder eines Schauermärchens zu schreiben – und seiner Heimatstadt Brüssel zu huldigen – und seinen schwerblütigen und urtümlichen Landsleuten.

Die Geschichte dreht sich um einen tiefgebeugten, alten Herrn namens Barthélemy Normand, über den in Brüssel schaurige Gerüchte in Umlauf sind. Das ganze Volk kennt diesen Mann und ist beim Anblick dieses Herrn hin- und hergerissen zwischen Angst und Zorn. Es heißt Barthélemy Normand sei ein Vampir, ein Werwolf, ein Blaubart, ein schwarzer Kater und ein Kinderschänder. Selbst die Alten unter den Einwohnern Brüssels wissen, daß in ihrer Jugend jener Normand schon genauso ausgesehen habe wie heute. Normand sei ein ewiger Jude, ein unsterblicher Dämon.

Dieser alte Katzenbesitzer hat sich bislang einiges zu Schulden kommen lassen. Durch seinen Kater hat er einen kleinen Jungen verführt sein Zuhause zu verlassen und den weiten Weg nach Brüssel zu Fuß zu gehen – doch der Knabe brach vor Erschöpfung zusammen ehe er das Ziel seiner Reise erreichen konnte. Ebenso ergeht es weiteren Figuren dieses interessanten und spannenden Büchleins. Eine schöne Frau namens Renée, die sich aus Neugier zu sehr um die Belange Normands zu kümmern schien, bricht mit einem Nervenfieber zusammen – und der herbeigerufene Arzt hat Mühe die junge Dame vor dem Wahnsinn zu retten. Ihr Geliebter Armand, der überzeugt ist, daß der alte Barthélemy Normand für den Zustand seiner Frau verantwortlich ist, will abrechnen – doch am Morgen nach seiner angekündigten Gewalttat findet man Armand mit einem Messer im Rücken auf dem Pflaster liegen.

Auch der Arzt Dr. André bemüht sich das Rätsel dieses Barthélemy Normand zu lösen, wird aber selbst am Ende des Romans mit Normand gemeinsam sterben. Ebenso wird ein allzu eifriger Polizist mit durchgebissener Kehle in seiner Wohnung aufgefunden, der zuvor den Kater Normands eingefangen und entführt hatte. 

Dr. André hatte vor einiger Zeit zufällig mit angesehen, wie der greisenhafte Normand ein blutjunges Blumenmädchen auf der Straße angesprochen hatte und dann mit dem Mädchen davongegangen ist. Dr. André verfolgt das Paar durch die Straßen Brüssels, doch verliert er die Spur derselben. Noch Wochen fahndet Dr. André nach dem Mädchen, und als er dann dem Mädchen auf der Straße begegnet, lädt er es zu einem Imbiß ein.

Das Mädchen besitzt noch den Schlüssel zu der bislang unbekannten Absteige Normands, und die beiden beschließen es sich dort gemütlich zu machen. Sie beachten den schwarzen Kater nicht, der sie mit seinen grünen Augen beobachtet. Das Blumenmädchen prostituiert sich, wie sie es schon bei dem Greis Barthélemy Normand getan hatte. Noch während sich das Paar im Bett der Absteige Normands wälzt, stößt letzterer plötzlich die Tür auf und es kommt zu einem Kampf zwischen den ungleichen Männern. Die beiden Kontrahenten stürzen durch die Fensterscheibe auf das Straßenpflaster und sind tot. Das Mädchen stößt gellende Schreie aus und flieht. Doch das Volk glaubt, Normand sei nicht tot, er lebe weiter in dem Körper seines schwarzen Katers.

Zuvor gab es noch die Episode mit der schönen Renée, die knapp dem Wahnsinn verfallen wäre und deren Liebster, Armand, mit dem Messer erstochen wurde. Als die schöne Renée sich einigermaßen erholt hatte von ihrem Fieber, holt sie Normands schwarzer Kater von ihrer Wohnung ab und führt sie in Normands Behausung. Dort geschehen phantastische Dinge. In den Hinterzimmern von Barthélemy Normands Wohnung häufen sich schillernde Reichtümer. Normand läßt ein Mahl für seine Gästin auffahren, zwölf Diener servieren ein opulentes Mahl. Normand selbst ißt nichts, später wird er sich das Blut eines menschlichen Herzens einverleiben – wie er überhaupt sich von menschlichen Herzen zu ernähren scheint, denen er das Blut herauspreßt um es zu trinken. In einer Kathedrale hängen seine Opfer über den Altären, ihnen wurde das Herz bei lebendigem Leib herausgerissen. Diese und ähnliche Visionen verfolgen die schöne Renée, deren Leichnam nie gefunden wird – sie verschwand spurlos. Die schöne Renée sollte die Nächste sein, die auf Normands Speisekarte stand.

Barthelemy Normand konnte, so der Autor, seinen Astralleib in den Körper des schwarzen Katers transferieren. Er war nicht nur unsterblich, solange er genug Menschenblut und menschliche Herzen zu verzehren hatte, sondern verjüngte sich geradezu durch diese einseitige Ernährung. Ich habe selbst schon mal von dieser Diät gehört, und meine, daß es sich dabei um »Trennkost« handelt. Gleichzeitig war der alte Knabe jedoch den weiblichen Reizen offenbar sehr zugetan, vermutlich das Ergebnis seiner überbordenden Energie – und das Ergebnis dieser exzentrischen Diät.

Der Autor beschreibt die Geschehnisse in einer volkstümlichen Art und Weise, man kann als Leser kaum unterscheiden, was Fiktion und was Realität sein könnte, so daß der Leser selbst den absurdesten Episoden Glauben schenken wird – auch dank der äußerst treffenden Charakterisierung des Brüsseler Lokalkolorits. Es gelingt De Molder eine Ebene des Märchenhaften mit einem krassen Realismus so kunstvoll zu verweben, daß der Leser seinen Hut ziehen muß. Sprachlich und atmosphärisch zwar nicht auf dem Niveau von Perutz, aber dennoch in beachtlicher und zeittypischer Manier. De Molder läßt viel Raum für die Phantasie des Lesers, ein Kunstgriff übrigens, der den versierten Erzähler verrät.