Hans Regina von Nack: »Wanderin Seele«, 1919
von Mirko Schädel
Hans Regina von Nack: Wanderin Seele, Dresden-Weinböhla: Verlag Aurora 1919, 92 Seiten
Hans Regina von Nack, das ist Hans Nack-Meyroser, Edler von Meyberg, 1894–1976, wurde in Prag-Smichow geboren. Er war Redakteur des Prager Abendblatts. Drehbuchautor. Er studierte Jura und wollte sich der Malerei zuwenden, aber landete dann als Kritiker beim Feuilleton des Prager Abendblatts. Nack war mit einer Jüdin verheiratet, die nach Theresienstadt verschleppt wurde. Nack selbst wurde in einem Lager interniert, nach dem Krieg ging er mit seiner Frau, die Theresienstadt überlebt hatte, nach Wien.
Hans Regina von Nacks Kriminalromane sind eher an Wallace orientierte thriller und für meinen Geschmack zu oberflächlich. Sein Erstling Wanderin Seele spielt in Prag und greift morbide, okkulte und unheimliche Elemente auf, die auch den Einfluß von Perutz und Meyrink zeigen. Sprachlich ist das Buch eher dem Naturalismus verpflichtet und keineswegs irgendein kitschiger, ekstatischer, expressiver Sprachschwampf, wie der Titel nahelegt. Die erzählenden Passagen werden von meist ein- oder zweiseitigen Traumsequenzen unterbrochen, die das Unheimliche und Morbide in Form von Prosagedichten noch verdichten.
Hans Regina von Nacks Wanderin Seele, 1920, ist ein spätes Zeugnis der Decadence-Literatur, gleichzeitig eine morbide Erzählung, die teilweise auch an Schnitzlers Reigen erinnert – aber man kann sie auch als phantastische Erzählung lesen.
Die jungfräuliche Anni Schneider aus bürgerlichem Hause lebt noch bei ihrer Mutter, die verwitwet ist. Anni wird von ihrem Bräutigam Hans Schwarz beworben, der kurz vor seiner Abschlußprüfung steht und gerade erst einen ernstzunehmenden Lungenkatarrh überwunden hat. Bleich und noch sichtlich geschwächt nimmt er die Besuche bei seiner Braut und seiner künftigen Schwiegermutter wieder auf. Doch Anni verrät ihm, daß ihre Seele des Nachts wandert. Sie führt noch eine andere Existenz irgendwo im Süden, denn im Schlaf löst sich ihre Seele von ihrem Körper und wandert zu dieser anderen Existenz an einen unbekannten Ort in südlichen Gefilden.
Hans Schwarz mag derlei obskure Gedanken nicht hören und es entsteht ein gewisser Widerwille gegen seine Braut und ihre spleenigen Vorstellungen. Doch dann wird Anni im Beisein ihres Bräutigams mit dem Baron von Karinsky bekannt, ein gewiefter Verführer, der seine Tentakel nach Anni ausstreckt. Im Gespräch wird Karinsky darauf aufmerksam, daß Anni sich für okkulte Phänomene interessiert, während Hans Schwarz eifersüchtig über seine Angebetete wacht.
Ilma Riedhagen, eine lesbische Kunstmalerin, die morbide Sujets bevorzugt, scheint sich in Anni verliebt zu haben und sucht sie zu verführen in dem sie vorgibt, Anni porträtieren zu wollen. Doch bei der ersten Sitzung wird die Malerin derart leidenschaftlich und übergriffig, daß Anni fluchtartig das Atelier verläßt.
Ilma von Riedhagen leidet sehr an dieser verschmähten Liebe und jagt sich fortan die doppelte Dosis Morphium in die Vene. Die Riedhagen verfolgt heimlich ihre Anni und wird zufällig Zeugin wie diese Unschuld vom Lande den Baron von Karinsky trifft und sich von dem Schwerenöter einwickeln läßt. Aus Rache schreibt sie einen anonymen Brief an Annis Bräutigam Hans Schwarz, der diesen über die Treulosigkeit Annis aufklärt.
Für Hans Schwarz bricht eine Welt zusammen. Er löst das Verlöbnis und zieht zu einem alten Schulfreund, wo er sich langsam der Trunksucht und dem Lotterleben ergibt. Seine Studien gibt er gänzlich auf und somit auch jeglichen Anspruch auf eine berufliche Karriere. Als Hans Schwarz schwerkrank und bereits im Sterben liegend im Krankenhaus liegt, weiß Anni bereits, hellsichtig wie sie ist, von seinem Zustand und eilt zum Trost der letzten Stunden in die Krankenstube. Anni entschuldigt sich ob ihrer Schwächen und Fehler und tröstet ihren ehemaligen Bräutigam im Sterbeprozeß, der ihr ihren Verrat vergibt. Am Ende schließt sie ihrem Hans die Augen.
Währenddessen hat Baron von Karinsky bereits jegliches Interesse an Anni verloren, denn ihre Unschuld hat er ihr bereits geraubt. Doch statt seiner Geliebten den Laufpaß zu geben, ist er feig und setzt sich nach Marienbad ab, wo er unter seinesgleichen ein müßiges und glamouröses Leben führt – ohne Anni von seinem Desinteresse zu unterrichten.
Hans Regina von Nack beendet die Novelle mit einer Traumsequenz aus diesem anderen Leben der Anni Schneider. Sie, die Verstoßene, kann ihren Peiniger nicht hassen, doch läßt sie sich von einer Giftschlange beißen und stirbt an einem wundersamen, unbekannten Ort.
Das Buch erschien im berüchtigten Aurora Verlag in Dresden-Weinböhla. Sicher mußte der Autor für die Kleinstauflage zahlen – auch deshalb ist das Buch eine Rarität, aber ein Meisterwerk ist der Roman nicht, obwohl er ein interessantes und beachtenswertes Zeugnis der Prager Literatur der Zwischenkriegszeit darstellt.