Hans Gustl Kernmayr: »Der Mann, der seine Zeit verkauft«, 1935
von Mirko Schädel
Hans Gustl Kernmayr: Der Mann, der seine Zeit verkauft, Berlin: Verlag für Kulturpolitik 1935, 206 Seiten
Hans Gustl Kernmayrs Der Mann, der seine Zeit verkauft ist ein überaus trauriger Kriminalroman, geschrieben in einer merkwürdig poetischen, reduzierten Sprache. Die Geschichte erinnert weitläufig an Heinrich Manns Professor Unrat, denn auch hier steht ein alternder Mann im Mittelpunkt, der noch die Liebe entdeckt, wenn es denn die Liebe ist, die er zu entdecken meint.
Der überaus redliche, und schrullig unauffällige Martin Krabbenow, seines Zeichens Hauptkassierer einen Bank, gerät auf Abwege. Krabbenow der Mitglied im Antiraucher-Verein ist und auch sonst ein mehr als beschauliches Kleinbürgerdasein führt, gerät zufällig in eine ziemliche Absteige, eine Kneipe, in der Krabbenow nach der Arbeit eine Tasse Tee trinken möchte und wird dort auf eine junge Dame namens Emma aufmerksam, deren Arme es Krabbenow angetan haben. Durch eine Streiterei der Inhaberin, in der auch Krabbenow unfreiwillig verwickelt wird, verliert Emma ihre Arbeit als Küchenhilfe.
Emma weiß sich dem alternden Mann auf geziemende Weise zu nähern und nach und nach treten Wesensveränderungen bei Krabbenow auf, er beginnt zu rauchen, zu trinken und verpulvert seine Ersparnisse – großteils um Emmas Wünsche zu befriedigen. Als er erfährt, daß Emma nebenbei noch ein anderes Verhältnis pflegt, gerät Krabbenow in einen Rausch der Selbstzerstörung. Doch als er diese Krise überwunden hat, wird sein Vertrauen durch Emmas geschickte Taktik wieder hergestellt.
Eines Tages stellt Emma ihrem Bräutigam ein Ultimatum, wenn er ein echter Mann sein wolle, dann unterschlägt er ein kleines Vermögen bei seinem Arbeitgeber und sorgt dafür, daß Emma auf ihren Krabbenow stolz sein kann.
Krabbenow unterschlägt 500.000 Reichsmark nachdem er sich bei einem Anwalt erkundigt hat, welche Strafe ihm droht. Das Geld deponiert er bei einem fragwürdigen Rechtsanwalt in Hamburg unter dem Stichwort Cäsar. Anschließend läßt sich Krabbenow in Berlin festnehmen und darauf wird er zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, die er unter zehrenden Bedingungen absitzt, während Emma, seine ehemalige Braut, langsam zu einer liderlichen Dirne herabkommt.
Als Krabbenow dann eines Tages auf freien Fuß gesetzt wird, ist er ein gesundheitlich angeschlagener Mann, der zuguterletzt auch noch das Stichwort vergessen hat um das deponierte Geld bei jenem Rechtsanwalt in Hamburg abzuholen. Emma, die durch den tiefsten moralischen Sumpf gegangen ist, scheint sich zu läutern und sucht Krabbenow in Hamburg, der wiederum zeitweise im Irrenhaus untergebracht werden muß. Als er wieder frei ist und durch Hamburg irrt, entdeckt er auf dem Rummelplatz ein Plakat mit dem Namen Cäsar und erinnert sich des Stichworts, auch Emma, die Kummerow überall gesucht hat, findet ihren ehemaligen Bräutigam dort und schleppt den alten, kranken Mann in die Wohnung einer Cousine, wo Kummerow mit einer doppelseitigen Lungenentzündung im Bett liegen muß.
Auch der ehemalige Bankdirektor und ein früherer Kollege besuchen den Kranken dort, und Kummerow gelingt es noch kurz vor seinem Tod das unterschlagene Vermögen mit Hilfe des erinnerten Stichworts den Eigentümern zurückzugeben, denn in Deutschland herrscht ja ein neuer Geist, ein Führer, der die Schmach Deutschlands zu tilgen und die Opferbereitschaft seines Volkes zu würdigen weiß.
Abgesehen von den Referenzen des Autors gegenüber dieser »neuen Zeit«, ist das Buch ein deprimierendes und sentimentales Zeitdokument eines gefallenen Kleinbürgers, der am Ende seines Lebens all seine Schuld wiedergutmacht.
Kernmayr, 1900–1977, war bestens vernetzt im nationalsozialistischen Dunstkreis und selbst ein früher Befürworter dieser volksverhetzenden Politik. Offenbar hat er jedoch auch einigen Regimegegnern zur Flucht aus Deutschland verholfen, so daß ihm nur eine minderschwere Schuld zugesprochen wurde, und von zeitweisem Veröffentlichungsverbot nach 1945 abgesehen, gelang es ihm recht nahtlos an seine frühere Karriere als Schriftsteller und Drehbuchautor trivialer Stoffe anzuschließen.
Ich will das Buch dennoch nicht schlechtreden, es hat seine Berechtigung und ist ungewöhnlich, besonders die gelegentlich in lyrischer Prosa geschriebenen Passagen, aber auch die Figur des Kummerow veranlassen den Leser zu einer tiefen Empathie für die vom Schicksal verfolgten Figuren dieses merkwürdigen Kriminalromans. Denn ein Kriminalroman ist das Buch tatsächlich, auch ein Geheimpolizist, der sich nach Kummerows Haftzeit an dessen Fersen hängt, spielt eine wenn auch untergeordnete Rolle.