Franz Xaver Kappus: »Das vertauschte Gesicht«, 1926
von Mirko Schädel
Franz Xaver Kappus: Das vertauschte Gesicht, Berlin und Leipzig: Ernst Keils Nachfolger [August Scherl] 1926, 184 Seiten
Franz Xaver Kappus, 1883–1966, veröffentlichte den Roman Das vertauschte Gesicht 1926 im Verlag Ernst Keil in Berlin. Es handelt sich hierbei eher um einen melodramatischen Spannungsroman, als um einen Kriminalroman reinsten Wassers.
Der Held der Geschichte, ein gewisser John Morrow alias Niels Petersen alias Hans Murmann, sitzt in einem EIsenbahnabteil und unterhält sich mit einem alten Bekannten, dem er zufällig begegnet ist. Der Roman spielt zu Beginn in den USA, dann aber fast ausschließlich in Berlin. Im nächsten Augenblick entgleist der Zug und es kommt zur Katastrophe. Morrow findet sich im Krankenhaus wieder mit einem völlig zerfetzten Gesicht. Sein alter Bekannter liegt im Krankenbett nebenan, hat sich aber nur drei Rippen gebrochen. Morrow erfährt von seinem Bekannten, daß es in New York einen Gesichtschirurgen gäbe, der aus hoffnungslosen Fällen wie diesem ganz erstaunliche Resultate erzielt. Sobald Morrow das Bett verlassen kann, wendet dieser sich an den plastischen Chirurgen, der ihm ein vollkommen neues Gesicht herstellen wird. Dieses neue Gesicht ist für Morrow doppelt bedeutend, denn nicht nur sein entstelltes Antlitz wird saniert, sondern er plant auch nach Europa zurückzukehren, wo er wegen Mordes gesucht wird.
Das Motiv seiner Heimreise jedoch ist eine Frau, die er vor Jahren aus dem elterlichen Haus in Wien hat entführen wollen, sie dann aber schmählich hat sitzen lassen, da er als vermeintlicher Mörder die Flucht ergreifen mußte.
Nun, nachdem er in den USA sich hinaufgearbeitet und ein Vermögen gemacht hat, beschließt er die alte Liebe noch einmal zu erobern, denn er kann Eva, seine Angebetete, nicht vergessen. Als er nun mit neuen Papieren, einer gänzlich neuen Identität und einem völlig neugearteten Gesicht in Europa auftaucht, beginnt er nach Eva zu suchen. Schon bald erfährt er, daß Eva mittlerweile ihren Mädchennamen abgelegt hat und einen reichen, jungen Laffen namens Dix geheiratet hat. Verständlicherweise kann Eva Dix mit Hans Murmann nichts mehr anfangen, sie glaubt ihn zu hassen, denn sie fühlt sich von dem vermeintlichen Mörder schmählich im Stich gelassen.
Morrow, der Tatmensch, bewirbt sich initiativ im Kaufhaus Dix, denn Evas Schwiegervater ist ein seriöser Kaufmann alter Schule, der seinen Sohn, Evas Gatten, zu seinem Nachfolger bestimmt hat. Doch der junge Dix hat ganz andere Ambitionen und träumt von einer Karriere als Schriftsteller. Dabei fährt dieser doppelgleisig, tagsüber arbeitet er mehr schlecht als recht in einem Büro des Kaufhauses, aber nachts beschäftigt er sich mit seiner Karriere als Dramatiker – wobei er geflissentlicht seine Gattin Eva vernachlässigt.
Morrow hofft nun über den Job im Kaufhaus Dix mit Eva bekannt zu werden. Er beflügelt den alten Dix mit neuen Ideen und es gelingt ihm den Kaufhausbetrieb nach amerikanischem Vorbild Stück für Stück zu modernisieren, so daß er vom Seniorchef viel Anerkennung einheimst und nebenbei den Sohn des Hauses in jeder Hinsicht aussticht. Diese neue Stellung weiß Morrow auch insofern zu nutzen, daß er bereits nach einigen Monaten auch privaten Umgang mit der Familie Dix pflegt.
Morrow beobachtet Eva schweigsam, später beginnt er dann auf seine ruhige Art mit Eva zu flirten. Eva wiederum ist irritiert von diesem Mann, gelegentlich starrt sie verwundert auf Morrows Hände oder ist von der Stimme ihres Gegenübers verzaubert.
Doch irgendwann wird Eva klar, daß Morrow und Murmann identisch sein müssen und es kommt zu einer Aussprache. Doch entgegen Morrows Befürchtung, daß sich Eva nun zurückzieht, beginnt eine erneute romantische Beziehung zwischen den Turteltauben. Evas Hass hat sich in Wohlgefallen aufgelöst.
Evas Gatte, der verhinderte Künstler, will einer Scheidung partout nicht zustimmen – und sinnt auf Rache. Als er durch Zufall ebenfalls hinter Morrows Geheimnis kommt, beschließt er diesen polizeilich verhaften zu lassen. Tatsächlich gelingt die Verhaftung Morrows, doch schon bald wird letzterer aus der Haft entlassen, denn der wahre Täter hat bereits in Italien ein Geständnis abgelegt. Morrow hatte damals das Mordopfer lediglich niedergeschlagen, hatte sich dann aber vom Tatort entfernt und erfuhr erst wenig später von dessen Tod. Er selbst hielt sich all die Jahre für den Mörder. Tatsächlich ist aber das Opfer kurz darauf aus der Bewußtlosigkeit erwacht und wurde von einem Gauner erwürgt.
Eva kann sich nun scheiden lassen und reist mit Morrow dem Sonnenuntergang entgegen.
Abgesehen von den zahlreichen melodramatischen Episoden des Romans und seinen sprachlichen Schwächen, ist dieser dennoch spannend geschrieben und sprüht vor recht ansehnlichen dramaturgischen Ideen. Vor allem das Motiv dieses durch Gesichtschirurgie veränderte Antlitz Morrows, das manch einen noch an den Film Dark Passage, 1947, mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall erinnert, ist seiner Zeit voraus.