T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

F. W. Richter: »Die rätselhafte Melodie«, 1922
von Mirko Schädel



F. W. Richter: Die rätselhafte Melodie, Stuttgart: J. Engelhorn 1922, Engelhorns Romanbibliothek Band 36/11, 144 Seiten, Umschlag von Hoffmann


Nichts hat im Format der Kriminalerzählung so eindrucksvolle Spuren hinterlassen, wie Conan Doyles Sherlock Holmes. Diese literarische Figur zeitigte einen unablässigen Strom von Nachahmern, der einerseits sich ganz der Figur, andererseits sich der Idee der Sherlock Holmes-Abenteuer verschrieben hatte. In manchen Fällen lesen sich diese Nachahmungen wie originale Sherlock Holmes-Erzählungen, nur das die Hauptfiguren aus geschmacklichen und/oder rechtlichen Gründen andere Namen erhielten.

Überall auf der Welt gab es diese Plagiate, doch besonders beliebt waren diese in den skandinavischen Ländern. Auch der Schwede Fritz W. Richter, 1884–1921, war einer jener Autoren, der sich in hohem Maß an Sherlock Holmes orientiert hatten.

Die rätselhafte Melodie, 1922 spielt in Stockholm, Richters Detektiv ist der Rechtsanwalt Max Stirling, ein unabhängiger, da reicher Mann, der seinen Beruf nur gelegentlich nach Lust und Laune ausübt, aber im Grunde genommen ein Kosmopolit reinsten Wassers ist. Das einzige Interesse, das er neben dem guten Leben hegt, sind spannende und verzwickte Kriminalfälle.

Stirlings Watson ist ein Mann namens Richter, der als Detektiv für die Stockholmer Polizei arbeitet, aber recht phantasielos und behäbig zu sein scheint, denn während Innovation und Beweisführung ganz auf der Seite Stirlings zu finden sind, betätigt sich Richter lediglich als Laufbursche oder Hilfsdetektiv, der am Ende die Abenteuer Stirlings zu Papier zu bringen hat um dessen Ruhm zu mehren.

Tatsächlich wäre Richter nicht in der Lage selbständig einen Mordfall aufzuklären, denn er übersieht alles was relevant sein könnte. In Die rätselhafte Melodie geht es um einen Mord- und Spionagefall. Eine junge Dame ist in der Nacht von einem Unbekannten ins Wasser gestoßen worden, Richter erhielt die polizeiliche Aufgabe diesen Fall zu klären, und er hätte ihn sicherlich als Unglücksfall zu den Akten gelegt, wenn sein Freund Stirling nicht einige Kleinigkeiten aufgefallen wären, die ein Verbrechen vermuten lassen. 

Bei der Abklärung der Personalien der unbekannten Leiche wird Stirling recht schnell klar, daß der Fall sich um Spionage drehen könnte, denn die junge Dame war als Zeichnerin in einer Außenstelle des Marineministeriums beschäftigt und ihr waren die Herstellung der strenggeheimen, militärischen Seekarten überantwortet worden. Nach einigen Recherchen entdeckt Stirling die Verbindung zwischen dem Mordopfer und dem Täter, denn die Ermordete wohnte vor einiger Zeit bei einer übel beleumundeten Vermieterin, die schon häufiger mit der Polizei zu tun hatte, der aber nie etwas nachgewiesen werden konnte. Aus Zeugenbefragungen geht hervor, daß in dem Haus der Vermieterin auch deren angeblicher Bruder verkehrt hat, und dessen Beschreibung stimmt offenbar mit dem Bild überein, das sich Stirling von dem brutalen Mörder und Spion gemacht hatte.

Tatsächlich gelingt es Stirling diesen Mann quer durch Stockholm zu beschatten, doch am Ende kann er ihn nicht fassen, stattdessen sucht der Verbrecher Stirling in seiner eigenen Wohnung auf und bedroht ihn mit der Waffe in der Hand. Eines Abends als Stirling gerade nach Hause kommt, stellt er fest, daß ein Fremder in sein Wohnzimmer eingedrungen ist, der ihm unumwunden ein Geschäft vorschlägt. Stirling solle von dem Fall ablassen und erhalte dafür eine gehörige Summe, doch unser braver Detektiv ist nicht käuflich, schon gar nicht, wenn es um die Verteidigung des Vaterlandes geht. Der Mörder verschwindet und Stirling sendet ihm noch zwei Kugeln aus seinem Revolver hinterher.

Stirling hat bereits eine Idee, wie er den Täter fassen kann, denn merkwürdigerweise interessiert er sich momentan vor allem für schnelle Motorboote – und Richter ahnt, daß dieses Interesse nur ein Ziel haben kann: Den Täter fassen und vor allem die gestohlenen, geheimen Seekarten wieder zurückzubekommen, ehe sie von ausländischen Geheimdiensten verwertet werden.

Stirling ist dem Verbrecher auch deshalb immer einen Schritt voraus, weil er die codierte Geheimsprache entschlüsselt hat, mit der die Spione über Anzeigen in Dagens Nyheter kommunizieren. Diese codierte Geheimsprache bedient sich schlicht klassischer Musiknoten zur Verschlüsselung. Als der Täter sich nun mit seinen Auftraggebern verabredet um die gestohlenen Karten auf deren Echtheit zu prüfen, liest Sterling diese Nachrichten mit und bereitet in aller Seelenruhe sein schnelles Motorboot für einen kleinen Ausflug vor. Die Spione wollen sich irgendwo in den Schären Stockholms treffen.

Tatsächlich gelingt es Sterling, Richter und zwei weiteren bewaffneten Helfern den Treffpunkt auszukundschaften und es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd über die Riffe und Untiefen der schwedischen Schären bis auf die offene See. Als das Benzin langsam knapp wird, zückt Stirling eine Winchester in der Hoffnung den Motor des gegnerischen Boots auszuschalten, aber die Spione wehren sich und schießen zurück, so daß Stirlings Boot derart beschädigt wird, das es navigationsuntüchtig wird. 

In letzter Sekunde kommt ein wendiges Kriegsschiff herbei, das Stirling an Bord nimmt und die Verfolgung erneut aufnimmt. Kurz vor der finnischen Küste erreichen sie das Boot mit den Spionen, das auf Warnschüsse nicht reagiert. Dann schießen die Schweden mit scharfer Munition und das gegnerische Boot wird gerammt und versenkt. Die Leiche des Haupttäters wird geborgen, in der Tasche seines Mantels findet sich ein Zelluloidfutteral mit den gestohlenen Seekarten. Ende gut, alles gut! Erfrischend auch, daß keine nervtötende Romanze in diesem Roman stattfindet.

Hätte Conan Doyle seinen Sherlock Holmes je in die schwedischen Schären verpflanzt, wäre sein Abenteuer auf diese oder zumindest auf eine ziemlich ähnliche Weise abgelaufen.

Die Ausgabe aus dem Engelhorn-Verlag in Stuttgart ist übrigens schon die zweite deutsche Ausgabe, denn der Roman ist bereits unter Richters Pseudonym Donald Fexer im Stern-Bücher-Verlag in Leipzig im Jahre 1920 erschienen.