Edgar Franklin [Stearns]: »Der meergrüne Wandschirm«, 1910
von Mirko Schädel
Edgar Franklin [Stearns]: Der meergrüne Wandschirm, Stuttgart: J. Engelhorn 1910, Engelhorns Romanbibliothek Band 27/7, 156 Seiten, Umschlag von Hoffmann
Die Erzählung Der meergrüne Wandschirm, die 1910 unter dem Titel The Hawkins Wall-Wizard in den USA erschienen ist, ist nichts weniger als ein äußerst gelungener, literarischer Scherz. Dieses Buch ist ein hochkonzentrierter Spannungsbogen, der einem Film gleicht, der in nur einer Einstellung gedreht wurde.
Die eigentliche Fabel ist äußerst reduziert und benötigt keinerlei Tricks und Wendungen, keine falschen Fährten und keine verwirrenden Details, sondern bildet eine völlig simpel konstruierte Geschichte ab, die entfernt ein wenig an Robert Louis Stevensons Die Schatzinsel erinnert. Drei junge New Yorker Schnösel sitzen abends zusammen und vertreiben sich die Zeit. Gilden, ein Millionär, berichtet seinen beiden Freunden von einer ererbten Insel mit einem alten burgähnlichen Haus darauf, das einst ein spanischer Edelmann in der Nähe von West-Indien erbaut hatte – und daß er bald einmal auf seiner Jacht dorthin reisen wolle um es sich anzusehen.
Hatfield und Chandler gehen bürgerlichen Berufen nach, alle drei scheinen sich mehr oder weniger zu langweilen. Und Gilden langweilt sich dabei am meisten, denn er ist immer an Abenteuern und dem Unbekannten und Mysteriösen interessiert. Als es läutet und der Butler erscheint um Gilden mitzuteilen, daß ein seltsamer Gast an der Tür sei, der seinen Namen nicht nennen will, überlegt der junge Mann kurz den Besucher abzuweisen, doch dann wittert er Geheimnisse und Abenteuer und läßt bitten. Der fremde Gast gebärdet sich äußerst rätselhaft und möchte nur Gilden seine Botschaft zu Gehör bringen. Diese Botschaft leitet ein schauderhaftes Abenteuer ein, denn Gilden wird mitgeteilt, er solle um 21 Uhr an einer genannten Adresse vor einem Wandschirm erscheinen. Auf Nachfragen geht der Fremde nicht ein sondern sagt lediglich, daß er mehr nicht sagen könne. Darauf verabschiedet sich der mysteriöse Besucher.
Gilden und seine beiden Freunde besprechen die Angelegenheit kurz, dann beschließt Gilden um die verabredete Uhrzeit die Adresse aufzusuchen um hinter das Geheimnis des Wandschirms zu kommen. Tatsächlich gerät er pünktlich in eine abgewirtschaftete, alte und selbstverständlich unheimlich anmutende Villa, in deren Räumen ihn ein dienstbarer Geist zu jenem meergrünen Wandschirm leitet, hinter dem eine Stimme laut wird und Gilden namentlich anspricht. Die Stimme fordert Gilden auf gegen Mitternacht seine eigene Jacht aufzusuchen um dort auf weitere interessante Instruktionen zu warten. Gilden versucht noch einen Blick hinter den Wandschirm zu werfen, doch hört er lediglich ein lautes Geräusch, kann aber niemanden entdecken – ebenso wirft sich der anwesende Diener dazwischen und zetert laut, daß es Gilden schlecht ergehe, wenn er die Befehle des Wandschirms hinterfragt oder gar ignoriert.
Gilden eilt wieder in seine Wohnung, wo seine Freunde noch auf ihn warten und neugierig seinem spärlichen Bericht lauschen. Als Gilden dann langsam zu seiner Jacht aufbrechen will, beschließen die beiden Freunde ihn dorthin zu begleiten, denn der Wandschirm habe ihm ja nicht ausdrücklich verboten Gäste mitzunehmen. Überhaupt scheint das alles ja mehr einem schlechten Scherz zu gleichen – und neugierig sind die drei jungen Herren allemal.
Um Mitternacht finden sich die Freunde auf der Jacht ein, es stellt sich ihnen ein unbekannter Kapitän vor und dann geschieht alles sehr schnell, denn es befinden sich völlig fremde Besatzungsmitglieder auf Gildens Schiff, die die drei jungen Männer als ihre Gefangenen betrachten und ihnen eine Kajüte anweisen, die sie nicht verlassen dürfen. Die Bewaffnung der gesamten Besatzung läßt auch keinen Widerspruch zu, und so fügen sich die drei in ihr Schicksal. Sie spüren, wie der Anker gelichtet wird, die Maschinen anlaufen, das Schiff legt ab und gegen morgen schlafen die Entführten vor Müdigkeit langsam ein.
Am nächsten Tag werden die jungen Männer von bewaffneten Besatzungsmitgliedern eskortiert in die luxuriöseste Kabine geleitet, wo sie dem Wandschirm gegenüber gestellt werden, der ihnen mit sonorer Stimme erklärt, daß sie keinen Widerstand leisten dürften – und das Widerstand erhebliche Konsequenzen nach sich ziehe. Der Wandschirm ist nichts weiter als ein mit grünlicher Seide bezogener Wandschirm.
So geht es tagelang, die drei Männer sind aus dem Leben gerissen und wissen nicht, was das alles zu bedeuten hat, sie können sich weder diesen Wandschirm erklären noch haben sie eine Ahnung welche Absichten mit ihrer Entführung verfolgt werden. Nur ein Offizier der alten Besatzung ist noch an Bord und versucht äußerst vorsichtig Kontakt mit den Gefangenen aufzunehmen, doch der Kapitän entdeckt die heimliche Kontaktaufnahme, es kommt zu einer Gewalttat, bei der jener Offizier offenbar zu Tode kommt.
Auch ein vereitelter Fluchtversuch mit einem kleinen Beiboot findet sein unrühmliches Ende. Kurz darauf kommt es wieder zu einer Vorführung der Gefangenen vor jenen Wandschirm, der mit drakonischen Strafen droht, wenn nicht Ruhe gehalten wird. Doch Chandler, der offenbar einen cholerischen Charakter hat, gerät völlig außer sich und wirft sich mit Wut hinter den Wandschirm, seine beiden Freunde sind wie erstarrt und können nicht sehen, was sich hinter dem herabgestürzten Wandschirm abspielt. Einer der bewaffneten Aufpasser zwingt sie zurück in ihre Kajüte.
Am folgenden Tag werden der Offizier und Freund Chandler einer Seebestattung zugeführt. Gilden und Hatfield sehen zu und sind am Boden zerstört, daß diese Höllenbrut, die sie in völliger Unkenntnis läßt, auch vor Mord nicht zurückschreckt. Ab diesem Zeitpunkt verhalten sich die beiden Gefangenen ruhig und schicksalergeben. Sie stellen fest, daß sie in südliche Klimazonen geraten sind, und eines Tages scheinen sie kurz vor dem Ziel ihrer Reise zu sein.
Als sie eines morgens erwachen, ist niemand mehr auf dem Schiff, die Jacht ankert vor einer kleinen Insel, und auf dem Bergrücken derer steht ein stattliches Haus, das Gilden als seine ererbte Burg La Roca in West-Indien identifiziert. Gilden, der die Karten dieser Insel genau studiert hat und auch die Grundrisse des Hauses kennt, beschließt mit Hatfield durch eine Höhle, die nur bei Ebbe mit dem Beiboot zu erreichen ist, das Haus zu betreten. In dieser Höhle gibt es eine lange, in den Fels geschlagene, dunkle und glitschige Treppe, die zu einer alten Tür führt, die den Zugang zum Keller des Hauses darstellt. Gilden weiß, daß in einem der Turmzimmer die Waffensammlung seines Vaters lagert – er will diese Räume erreichen, um sich mit Waffengewalt gegen die rätselhafte Verbrecherbande wehren zu können.
Doch der erste Versuch scheitert bereits an der massiven Tür, die abgeschlossen ist. Als die beiden die Treppen ernüchtert wieder hinabgestiegen sind, stellen sie fest, daß ihr kleines Boot vom Felsen der Höhle geschleift wurde, Benzingeruch liegt in der Luft, die Verbrecher haben ihr Boot gestohlen.
Wieder besteigen die beiden die Treppe und schlagen mit den Stiefeln gegen den Korpus der mächtigen Tür, denn sie sitzen nun in der Falle. Tatsächlich hören sie nach einiger Zeit ein metallisches Geräusch, dann läßt sich eine Stimme hören, die fragt, wer da sei. Doch Gilden lärmt unbeirrt weiter bis der Mensch den Schlüssel langsam knarzend umdreht und sich ein Spalt öffnet. Das freudige Erschrecken ist groß, denn der vermeintlich ermordete Chandler ist der Türöffner, der mit schweren, mittelalterlich anmutenden Ketten und Schlössern in seiner Bewegungsfreiheit gehemmt ist.
Die drei Freunde tauschen ihre Erlebnisse aus, Chandler wurde damals lediglich niedergeschlagen und auf dem Vorderdeck in einer Kabine versteckt gehalten. Seine Seebestattung war fingiert. Die Freunde untersuchen die vier massiven Türen, die vom Keller in das Haus führen, aber alle sind fest verschlossen. In der Dunkelheit stehen einige alte Kisten und als einer der Freunde zwei Kisten zusammenrücken will um sich eine bequeme Bettstatt zu schaffen, stellt dieser fest, daß sie unverrückbar sind. Gilden macht sich an einer Kiste zu schaffen und nach einiger Zeit und mit Hilfe Hatfields gelingt es ihm den Deckel zu öffnen. Die Kisten ließen sich aufgrund des Gewichtes nicht verrücken, denn sie sind mit Goldmünzen angefüllt.
Wieder läßt sich von oben Geräusch hören, jemand macht sich an eine der Türen zu schaffen, und der ebenfalls totgeglaubte Offizier läßt sich sehen. Er hat die Schlüssel des Hauses dem Anführer jener Bande abgenommen, denn diese Brut hat dem Alkohol kräftig zugesprochen. Gilden sieht seine Chance gekommen, die vier Männer schleichen durch den Keller in das Haus und von dort in den Turm, dort finden sie jene alte Waffensammlung und reichlich Munition. Sie bewaffnen sich, und wollen nun versuchen auf die Jacht zu kommen um sich damit abzusetzen, aber unten stoßen sie auf zwei der Rädelsführer mit gezogenen Pistolen. Die vier jungen Männer sind aber im Vorteil, da ihre Gegner nicht ahnen, daß sie nunmehr schwer bewaffnet sind. Sie werden aufgefordert sich vor dem Wandschirm zu verantworten und werden zu diesem Objekt geführt. Dort erklingt wieder jene bekannte Stimme und erklärt, daß sie sich alle schuldig gemacht hätten und ungehorsam waren und morgen in der Früh erschossen werden. Bei diesen Worten zieht Gilden seine Waffen – ebenso seine drei Freunde.
Gilden schießt in Richtung Wandschirm, eine Körper sackt hörbar dahinter zusammen, ebenso wird einer der Rädelsführer tödlich getroffen, nur der Kapitän bleibt unversehrt und ergibt sich. Letzterer klärt die Freunde auf: Gildens Privatsekretär in New York hatte die Idee zu diesem Plan, denn er wußte von dem Gold des spanischen Granden in diesem feuchten Keller von La Roca, er hatte die Papiere und Pläne im Nachlaß von Gildens Vater gefunden und studiert, er konnte die alten spanischen Notizen entziffern, die Aufschluß über den Goldschatz gaben. Um sich das Gold, von dem Gilden keinen blassen Schimmer hatte, zu sichern, suchte der Privatsekretär zwei eifrige Partner, diesen Kapitän und jenen kleinen Mann hinter dem Wandschirm, der sich durch seine Zwergenhaftigkeit genötigt sah diesen exzentrischen Trick anzuwenden um sich den nötigen Respekt zu verschaffen. Jener Zwerg war es nämlich, der Schwung in die Sache brachte und auch die nötige kriminelle Energie besaß um die Pläne von Gildens Privatsekretär auszuarbeiten, zu verfeinern und durchzuführen. Jener Zwerg war es, der von der Abenteuerlust Gildens wußte und diese als Lockmittel für sein Vorhaben einsetzte.
Das Buch ist ebenso schlicht wie spannend und macht einen sprachlos, ein meisterhaftes Kleinod, das man nicht aus der Hand legen kann. Ich vermute, daß die Erzählung nur als Zeitschriftenabdruck in den USA erschienen ist, ich konnte keine originale Buchausgabe verifizieren.