D. v. K., das ist Daniel Kaszony: »Der Geisterbeschwörer oder vom Tode auferstanden«, 1876
von Mirko Schädel
D. v. K., das ist Daniel Kaszony: Der Geisterbeschwörer oder vom Tode auferstanden, Leipzig: Gustav Schulze 1876, 950 S.
Daniel von Kaszony, eigentlich Dániel Kászony, 1813-1886, stammte aus bürgerlichen Verhältnissen und wurde in Wien geboren. Er war eine schillernde Figur, schrieb unter zahlreichen Pseudonymen und führte ein abenteuerliches Leben. Erst Kadett und dann Offizier der Radetzky-Husaren, lebte Kászony auf großem Fuß, verschwendete bald sein Vermögen und zog sich in das zivile Leben zurück. Zusammen mit László Lovassy und seinen Mitarbeitern gründete er den sozialen Verein, für den Lovassy zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde, und sieben Mitglieder des Vereins, darunter Kászony, wurden aus dem öffentlichen Amt ausgeschlossen. Er ging nach Paris und ab 1842 war er Korrespondent für Pesti Hírlap. Kászony verfügte über große Sprachkenntnisse; Neben seiner Muttersprache schrieb und sprach er Deutsch, Englisch und Französisch und konnte sogar Italienisch, Spanisch und ein wenig Türkisch. Er pflegte den Kontakt zu den Führern der Märzrevolution in Wien. Ende September 1848 besuchte er Prag und Misérd, um ungarische Husaren zur Flucht nach Ungarn zu bewegen. Am Ende des Unabhängigkeitskrieges quittierte Kászony als Leutnant den Dienst. Anschließend verließ er Ungarn und ging von dort ein Jahr später, 1850, nach London. In England arbeitete er als Korrektor für die Times; Später, als er eingebürgert wurde, kehrte er als britischer Bürger nach Ungarn zurück, wo er von 1863 bis 1867 als Pädagoge in Szentgyörgyábrány tätig war und die Söhne des Grafen Dániel Vay [1820–1893] erzog. Aus politischen Gründen wanderte Kászony wieder aus. Er lebte einige Jahre in Leipzig, kehrte aber im Oktober 1877 nach Budapest zurück und verdiente als oppositioneller Journalist seinen Lebensunterhalt. Kászony übersetzte Horror-Romane für die Presse und schrieb belletristische Werke. Er verließ seinen Posten als Journalist Ende 1879. Kászony war sein ganzes Leben lang ein Exzentriker; immer ziellos; er kümmerte sich nicht um die Zukunft oder um seine Existenz. Solange er Geld hatte, war er verschwenderisch, und er konnte Tag und Nacht arbeiten, wenn er in Not war. Kaszony lebte mit seiner Familie in deprimierenden Verhältnissen. Er wurde zeitweise vom ungarischen Schriftstellerverband unterstützt. Kászony starb 1886 in Budapest auf einem nackten Strohsack in einem unmöblierten Raum. Pseudonyme: Satanelli, K. v. D., Lucifer Illuminator
Kaszonys Geisterbeschwörer gibt vor ein Kolportageroman reinsten Wassers zu sein. Möglicherweise hatte der Autor eine schlüssige Dramaturgie der Ereignisse seines Romans im Kopf, doch die zahlreichen Füllsel, die den Roman unangemessen aufblähen, verstärken nur die Unlust des Lesers sich diesen Textpassagen anzuvertrauen. Das ganze erinnert an Paul Feval, der immer wieder in seinen Romanen den Leser direkt anspricht, und sich für die uferlosen Abschweifungen entschuldigt, Kaszony entschuldigt sich aber nicht einmal. Auf der anderen Seite ist dieser Roman jedoch von sehr individueller Natur, denn der Verfasser hat den Hang auch philosophische Themen zu erörtern, im Gegensatz zu fast allen Kolportageromanen dieser Zeit. Witzig sind die vielen Anspielungen literarischer Art, die auf die breitgefächerte Lektüre des Verfassers deuten, denn er nennt zahlreiche Autoren des 19. Jahrhunderts, vor allem läßt er aber leibhaftig einige Zeitgenossen durch den Roman wandeln, zwar nur als Staffage, aber immerhin begegnen dem Leser vor allem in den in Paris angesiedelten Szenen die Autoren Alexandre Dumas, der jüngere Dumas, Xavier de Montepin, Paul Feval – aber auch Wilkie Collins wird dem Leser in einer Londoner Szene vor Augen geführt.
Zu Beginn führt uns der Autor in die Vereinigten Staaten, wo uns ein gewisser Mr. Angerfield vorgestellt wird, ein Engländer, der Frau und Kind in London zurücklassend, nach Utah ausgewandert ist, wo er eine seltsame Colonie von Künstlern und Arbeitern gründet, die zumindest eines eint, nämlich ihr Atheismus. Angerfield, dessen Vermögen bei zwei New Yorker Banken angelegt ist, verliert einen großen Teil seines Geldes als der Bürgerkrieg beginnt. Angerfield nimmt an diesem Krieg auf der Seite der Unionisten teil, und trifft dort auch seinen einzigen Jugendfreund Rudolf von Sonnenburg, der der Bruder von Mr. Angerfields großer Liebe ist. Sonnenburg hatte einige Jahre bei einer moslemischen Sekte zugebracht, später ist er dem Spiritismus verbunden und trifft auf seinen alten Freund Angerfield mitten in den Kriegswirren des amerikanischen Bürgerkriegs, wo Sonnenburg den Namen Saunders angenommen hat.
Eine dritte bedeutende Figut, neben wirklich zahlreichen Nebenfiguren, ist der Pole Marian Lubodolski, ein Taschenspielkünstler und Geisterbeschwörer, der unter einem schwedischen Namen ein gutes Geschäft als Zauberkünstler macht, jedoch vor allem ein polnischer Freiheitskämpfer und Patriot ist, der seine Existenz seinen politischen Zielen unterordnet. Als letztes muß man noch den Diplomaten von Stolzenhöh nennen, ein Egoist reinsten Wassers, der sich, nachdem er am österreichischen Hof beruflich gescheitert ist, vom französischen Kaiser Napoleon III. zu einer diplomatischen Mission anheuern läßt. Seine Aufgabe ist es den Großherzog Maximilian, den Bruder des österreichischen Kaisers, zu überreden die mexikanische Kaiserkrone anzunehmen, was ihm auch nach einigen Manipulationen gelingt.
Der Roman spielt teilweise in Nordamerika und Mexiko, aber auch in London, Paris, Polen, Russland, Schleswig-Holstein, Norwegen usw. und beginnt kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Neben den wenigen kolportageartigen Episoden, die vom Kampf mit einer Riesenschlange reichen bis hin zu einer eindrucksvollen Verfolgung einiger Reisender durch zwei Wolfsrudel, überwiegen jedoch politische, militärische, philosophische, metaphysische und spiritistische Diskussionen zwischen den verschiedenen Protagonisten.
Der Leser nimmt an den verschiedenen politischen Aufbrüchen dieser Jahre teil, wir werden Zeugen des amerikanischen Bürgerkriegs, der Inthronisierung des mexikanischen Kaisers, dem Freiheitskampf der Polen, den politischen Intentionen des französischen Hofes und der englischen und deutschen Politik. Wer sich für diese historischen Ereignisse interessiert, dürfte aufgrund der Perspektive des Autors diesen Roman begierig aufnehmen, wer allerdings keinen Spaß an diesen Themen entwickelt, wird sich langweilen. Leider gehöre ich zu dem letzteren Leserkreis.
Die beiden entgegengesetzten Pole des Romans sind die Personen Angerfield und Lubodolski, die sich kennen und schätzen, obwohl sie vollkommen unterschiedlichen Weltanschauungen anhängen. Lubodolski, der Tote auferstehen lassen kann und Geister beschwört, nutzt seine magischen Gaben auch während des polnischen Aufstands, denn als Russen ihm und seinen Freunden den Fluchtweg versperren, läßt er eine Stimme ertönen, die keine menschliche ist – und treibt die abergläubischen Russen damit zur Flucht. An anderer Stelle behauptet der Autor jedoch, Lubodolski beherrsche lediglich die Naturwissenschaften in einer Weise um sein Publikum eindrucksvoll zu täuschen. Angerfield hingegen ist ein Rationalist und Materialist, er glaubt weder an Geister, noch an Religion.
Ebenfalls eine bedeutende Rolle in dem Roman spielt die Kaiserin von Frankreich, Gattin von Napoleon III., und die Gräfin von Aden, die allerdings die totgeglaubte Schwester Rudolf von Sonnenburgs ist, und also die große Liebe des Mr. Angerfield.
Gräfin von Aden ist immer da, wo Mr. Angerfield oder ihr Bruder nicht ist – erst am Ende des Romans trifft die Gräfin von Aden auf Mr. Angerfield und ihren Bruder Rudolf von Sonnenburg. Bei der Schilderung des verwirrenden Wiedersehens spielt der Autor auf die Möglichkeit an, daß die Gräfin womöglich als scheintod galt und dem Grab auf abenteuerliche Weise entgangen sei – doch unterschlägt der Autor dem Publikum dies genauer auseinanderzusetzen, es bleibt bei einigen vagen Andeutungen.
Der ganze Roman ist eine Art Mißverständnis, denn der Text ist ein philosophischer Roman im Gewand eines Kolportageromans – angereichert mit einigen Passagen, die dem Kolportageroman entlehnt sind. Auch wenn in einem der letzten Kapitel der Autor versucht dieses Romankonstrukt zu rechtfertigen und auch weiß, daß diese Form des Romans dem ungebildeten Arbeiter Entspannung verschaffen solle, so hätte er auch wissen müssen, daß sein Zielpublikum mit diesem Stoff eindeutig überfordert gewesen sein muß.
Interessant sind zumindest die Haltungen und Perspektiven des Autors zu verschiedenen gesellschaftlichen, politischen und philosophischen Fragen seiner Zeit. Kaszony scheint ein liberaler Geist gewesen zu sein, zugleich aber klagt er über die kriminelle Energie des neuen Geldadels und relativiert das monarchische Prinzip.
Kaszony kennt keine Gnade, wenn er sich ungeachtet des Interesses seiner Leserschaft, über allerlei Dinge ausläßt, ob es die Musik, das Theater, die Literatur, die Politik oder was auch immer ist. Seine kolportagehaften Einlassungen dienen wohl nur der Beruhigung des Verlegers, und scheinen im Nachhinein in den Text einmontiert worden zu sein. Sie wirken wie Fremdkörper in einem mäandernden und ziellosen Textungetüm. Dieses mäandernde Erzählen kennt man auch von anderen Kolportageromanen, doch in letzteren reihen sich Sensation an Sensation, so daß der Leser vor lauter spannender Handlungsabläufe kaum zur Ruhe kommt. In diesem Buch aber mäandern die unspektakulären Passagen, und es stellt sich dem Leser eine blutdrucksenkende Ermüdung ein; auch fehlt gänzlich die typische Schwarz-Weiß-Malerei der Charaktere, die ich als Leser zwar auf der einen Seite verachte, andererseits aber auch nicht gänzlich darauf verzichten möchte.
Der Graf von Stolzenhöh ist sicherlich ein ekelhafter, kaltherziger Egoist, doch zu einem Erzschurken taugt der eitle und feige Diplomat nicht, wie überhaupt keine abgrundtief bösen oder engelhaft guten Charaktere in diesem Roman zu finden sind. Die Figuren sind ambivalent, was für einen Kolportageroman eine Katastrophe ist. Dem Autor ist es leider auch nicht gegeben die Charaktere zum Leben zu erwecken, sie bleiben lediglich Schablonen oder Sprechblasen, und die zahlreichen Namen unter denen die Figuren auftreten, wie auch ihre bloße Menge, machen es dem Leser nicht leicht der Handlung zu folgen.
Ich gebe zu, daß ich mich über weite Strecken gelangweilt habe, nur die Passagen, in denen der Autor ziemlich unumwunden seine Weltsicht schildert, scheinen mir erwähnenswert. Ein Autor wie Ponson du Terrail, der ein Vielschreiber von Kolportageromanen war, hätte ganze Passagen in immer neuen Konstellationen aneinandergereiht – Varianten immer gleichlautender Handlungsabläufe – einzig wichtig schien es ihm, den Leser in einen Strudel der Ereignisse zu ziehen, die von Sensation zu Sensation hasten. Dabei vergaß er angesichts seines Arbeitspensums auch einmal, daß er bereits eine vorgefertigte Passage doppelt in den Text einmontierte, oder aber er vergaß, daß eine seiner Figuren bereits gestorben war, jedoch einige Kapitel später wieder lebendig die Szene betrat.
Kaszony hatte diesem Prinzip entgegengesetzt offenbar gar kein Interesse sein Publikum mit Spannungsliteratur zu versorgen, sondern ihm war das Vehikel des Kolportageromans nur ein Mittel seine teils realistischen, teils exzentrischen Ansichten und Gedanken zu verbreiten. Trotzdessen daß er sehr wohl die Romane Wilkie Collins, Paul Fevals oder Charles Reades kannte und wohl auch schätzte, war er selbst nicht in der Lage einen Sensations- oder Spannungsroman zu schreiben.
Mein Exemplar des Romans stammt aus der Bibliothek von der Leyen, wie so oft bei den Büchern aus dieser Fürstenbibliothek ein ungelesenes Exemplar, einige der letzten Seiten waren noch unaufgeschnitten. Ich bereue nicht den Roman gelesen zu haben, aber ein Spannungsroman ist dieser Roman keineswegs, auch wenn Kaszony alles tut um seinem Werk diesen Stempel aufzudrücken – er hatte wohl weder das Interesse seinen großen Vorbildern nachzueifern, noch die Kenntnisse die erforderlich sind eine schlüssige Romankonstruktion zu formen. Und auch wenn ich mich gelangweilt habe, haben mich die Gedanken Kaszonys gelegentlich immerhin amüsiert.