Carl Braun: »Das grüne Band« um 1900
von Mirko Schädel
Carl Braun: Das grüne Band, Dresden: Max Fischer um 1900, Kriminal-Bibliothek [unnumeriert], 93 Seiten
Um 1900 gab es drei ähnliche Kriminalreihen, die auffallende Überschneidungen an Titeln hatten, die da sind:
Leipzig: Gustav Fock um 1899, Kriminalbibliothek
Dresden: Berthold Sturms Verlag um 1900, Die interessantesten Kriminal-Romane aller Länder
Dresden: Max Fischer um 1900, Kriminal-Bibliothek
Diese drei Reihen sind ursprünglich allesamt als Broschuren erschienen, auch deshalb sind diese Bücher ausgesprochene Seltenheiten.
Die schlichte Kriminal- und Horrorgeschichte spielt in Frankreich, überwiegend auf dem Landsitz La Fondière, wo die Familie der Madame de Ménilmontant lebt. Madame de Ménilmontants Gatte ist vor kurzem gestorben und sie lebt mit ihren beiden Töchtern Berthe und Rose auf diesem unheimlichen alten Familiensitz.
Kurz nach dem Tod ihres Gatten reist die junge, reiche Witwe in den Süden und lernt nach einiger Zeit ihren zweiten Gatten, einen Oberst, kennen, der sich nach der Heirat als seltsamer Eigenbrödler mit autoritären Zügen erweist. Er hält sich verschiedene Reptilien und Salamander, auch zwei Äffchen, sogenannte Meerkatzen, nennt er sein eigen. Als ehemaliger ranghoher Militär hat er sich einige Jahre in der Welt herumgetrieben, auch in Indien scheint er eine Weile gelebt zu haben.
Doch nach Quittierung seines Dienstes hat er in La Fondière ein straffes Regiment eingeführt, sich mit allen Nachbarn überworfen, alle Verwandten seiner Frau düpiert – und führt mit seinen zwei Stieftöchtern und seiner Frau ein mehr als abgeschlossenes Leben. Auch die Bediensteten der Familie leiden nach und nach mehr unter der autoritären, ausbeuterischen Arbeit auf dem Gutshof.
Als es dem Oberst gelingt, seine Frau zu überreden eine neues Testament aufzusetzen, daß ihm zum Alleinerben macht, beschließt der alte Militär offenbar seine Gattin aus der Welt zu schaffen. Madame de Ménilmontant leidet seit einigen Tagen unter verschiedenen Halluzinationen, sie hört seltsame Klänge und Geräusche in ihrem Schlafzimmer, das neben dem Schlafzimmer ihres Gatten gelegen ist, und nimmt merkwürdige Gerüche wahr.
Der Oberst schert sich wenig um die Beschwerden seiner Frau und tut sie lachend als Einbildungen ab, doch ein, zwei Tage später hören die Bewohner des Hauses die Schreckensschreie der Madame. Nachdem man die von innen geschlossene Tür öffnet, findet man die sterbende Madame in ihrem Bett liegend mit schreckverzerrten Zügen, die ihren Töchtern noch mit letzter Lebenskraft die Worte zuflüstert: »Fort … fort! Das grüne Band!«
Darauf erlischt das Lebenslicht der Madame und zwei Ärzte werden gerufen, darunter ein Spezialist aus Paris, doch können sich die Mediziner den plötzlichen Tod ihrer Patientin nicht erklären und auch eine Besichtigung der Leiche führt zu keinem Ergebnis, so daß der Totenschein ausgestellt wird, in dem von einem natürlichen Tod die Rede ist.
Doch der Leser ist bereits bestens informiert und weiß auch, daß der Oberst seiner verstorbenen Gattin noch ein Kodizil des Testaments abgerungen hatte aus dem hervorgeht, daß auch das Vermögen der Töchter, im Falle dessen, daß sie ohne Nachkommen bleiben und sterben sollten, ihr persönliches Erbe an den Oberst abtreten müßten.
Nachdem der Oberst also mit seinem ersten Mord ohne Behelligung davongekommen war und er einen Großteil seines neuerworbenen Vermögens in englischen Spielhöllen gelassen hatte, faßte er recht zügig den Plan auch die Töchter um die Ecke zu bringen. Auch kümmert er sich leidenschaftlich um die völlige Isolation seiner Stieftöchter, möchte er doch nicht, daß diese sich vor dem erfolgreichen Abschluß seiner Pläne verlieben oder emanzipieren.
Doch Berthe ist in ihren Cousin in Paris verliebt und unterhält eine heimliche Korrespondenz. Als die beiden Verliebten jedoch ihre Pläne publik machen, macht der Oberst gute Miene zu bösem Spiel, weiß er doch, daß er nun zügig zur Tat schreiten muß.
Als Rose, Berthes Schwester, an einer leichten Erkältung leidet, schläge der Oberst Berthe vor im Schlafzimmer ihrer verstorbenen Mutter zu schlafen, so daß sie sich nicht bei ihrer Schwester anstecken könne. Er selbst sei auf eine Jagd im fernen Schottland eingeladen. Noch am Abend verläßt der Oberst das Haus um nach Schottland zu reisen. Doch in der Nacht betritt ein vermummter Kerl das Gebäude und betritt das Zimmer des Oberst, das neben dem Schlafzimmer Berthes liegt. Ebenso wie bei Madame de Ménilmontant stellen sich bei Berthe die seltsamen Halluzinationen ein, doch ihre Schreie werden nicht gehört, denn die Schwestern hatten am Abend zuvor noch schweren Rotwein mit dem Stiefvater genossen, ehe letzterer das Haus verließ.
Am Morgen darauf findet Rosa die vollkommen entstellte Leiche ihrer Schwester, die sich offenbar vor ihrem Ableben in Krämpfen gewunden hatte. Der untröstliche Bräutigam aus Paris wird gerufen, ebenso die Ärzte, die sich das Ableben zwar nicht erklären können, aber überzeugt sind, daß es sich nicht um einen natürlichen Tod handeln könne.
Nur die Haushälterin hat auf der Schwelle des Schlafzimmers des Oberst einen Rückfahrschein gefunden, der darauf hindeutet, daß jemand in der Nacht mit der Bahn heimgekehrt sei und diese Fahrkarte verloren habe. Auch der Oberst wird aus Schottland telegraphisch informiert und man rechnet in zwei Tagen mit seiner Rückkunft.
Doch ein junger Assistenzarzt aus Paris bleibt am Ort zurück und beginnt sich die Leiche genauer anzusehen. Bei der Ankunft des Oberst, der den trauernden Stiefvater mimt, wird beschlossen, Rose mit nach Paris zu nehmen, wo sie sich bei ihren Verwandten einige Zeit erholen soll.
Der junge Arzt stellt Rose jedoch einige Fragen über die vorherigen Todesfälle in der Familie, die zunehmend den Verdacht aufkommen lassen, daß sie nicht natürlichen Ursprungs sind. Als Rose dem Arzt von ihrem Stiefvater und seiner Passion für seltene Schlangen erzählt, beginnt der Arzt den wahren Sachverhalt zu ahnen.
Als der Oberst binnen kürzester Zeit seine restlichen Mittel durchgebracht hat und seiner Stieftochter das Versprechen abverlangt, daß sie sich im Krankheitsfall um ihren alten Stiefvater kümmern müsse, beschließt der junge Arzt, der mittlerweile zum Bräutigam Roses avanciert ist, diesen Köder anzunehmen und seine künftige Braut nicht mehr aus den Augen zu lassen.
Ein paar Wochen darauf erhält Rose einen Brief ihres Stiefvaters, der von dessen aufkeimender Krankheit berichtet und um Hilfe bittet. Der junge Arzt stellt Erkundigungen über seinen Widersacher ein und erfährt, daß der Oberst offenbar kurz vor seinem Bankrott steht und auch nicht krank sei. Er reist mit seiner Braut und seinem Vater, dem Anwalt, nach La Fondière, nachdem er noch einen fingierten Brief an den Oberst sendet, der diesen zwingt für zwei Tage das Haus zu verlassen.
Als die beiden Liebenden und der Anwalt das Haus betreten, läßt sich der junge Arzt mit seinem Vater noch einmal alle Räumlichkeiten zeigen und sie entdecken in dem Schlafzimmer der beiden unerwarteten Todesfälle einige Eigentümlichkeiten, die sich mit ihrer Theorie um die Todesfälle zu decken scheinen.
Als der Oberst ziemlich ungehalten von seiner sinnlosen Reise zurückkehrt, schreitet er noch in der Nacht zur Tat, denn er weiß nicht, daß sich in dem Schlafzimmer neben Rose, der bewaffnete Anwalt mit seinem Sohn, sowie der alte Hausarzt befinden. Gegen Mitternacht ertönen seltsam orientalische Klänge, ein kleines Loch in der Wand leuchtet auf, doch der beherzte Anwalt wirft sich auf das Bett und schlägt mit einem Klingelzug auf ein zischendes Ungeheuer ein, das umgehend die Flucht zurück in das Nebenzimmer ergreift. Von dort hört man nun Schreie und anschließend das Röcheln eines Sterbenden.
Als man das Nebenzimmer aufsperrt, entdeckt man den Leichnam des Oberst, der selbst Opfer seiner giftigen und dressierten Würgeschlange geworden ist. In den Unterlagen des Oberst findet sich ein Tagebuch, das von anfang an die Verbrechen des Oberst beschreibt, auch die Umstände seiner Vorliebe für Schlangen und deren Dressur, die er sich in Indien bei einem Schlangenbeschwörer angeeignet hatte.
Unterschlagen hatte ich noch einen interessanten Umstand, der allerdings kurz erwähnt, aber nicht weiter verfolgt wird. Denn bei dem ersten Mord an Madame de Ménilmontant hatte der Arzt aus Paris eine Fotographie der Pupille der Ermordeten angefertigt um womöglich zu entdecken, was die Tote unmittelbar vor ihrem Ableben gesehen haben muß. Ende des 19. Jahrhunderts gab es das Gerücht, daß in der Pupille des Sterbenden der letzte Blick abgebildet sei. Aber wie gesagt, das Ergebnis dieser Fotographie unterschlägt der Autor. Wir kennen dieses Motiv von Jules Claretie in seinem Roman Das Auge des Toten, 1899.
Über den Autor Carl Braun ist nichts weiter bekannt. Die Novelle Das grüne Band erschien parallel bei Gustav Fock in Leipzig und bei Max Fischer in Dresden. Ich vermute, daß Carl Braun hier nur als Übersetzer und Bearbeiter tätig war, der Roman ist sicherlich eine Übersetzung eines französischen Sensationsromans unbekannter Herkunft. Ich konnte den tatsächlichen Verfasser bislang nicht identifizieren.
Die typischen Elemente des Kolportageromans werden hier ausgetauscht mit den modischen Accessoires des Exotismus der Jahrhundertwende, in diesem Falle Schlangen aus Indien und deren Dressur. Die Novelle ist in einem nüchternen, dennoch sensationslüsternen Ton verfaßt. Die Spannung wird nicht so sehr von der Frage beherrscht, wer der Täter ist, denn das weiß der Leser bereits auf den ersten Seiten, sondern mit welchen Mitteln die geheimnisvollen Morde bewerkstelligt werden. Darüberhinaus greift der Autor doch ein wenig in die Mottenkiste der Kolportage des 19. Jahrhunderts, vor allem dann nämlich, wenn er die Abhängigkeit und Isolation der Töchter schildert, die von dem Bösewicht beherrscht werden und keine Freunde haben, die sie tatkräftig beschützen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und Beherrschtwerdens ist eine der favorisierten literarischen Motive der Kolportage der 1860er Jahre.