T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Arthur [William] Marchmont: Vier auf einen Streich, oder: Das Doppelgängermotiv
von Mirko Schädel


li.: Arthur Marchmont: Geheimnisse eines Geizhalses, Gotha: Verlagsanstalt und Druckerei H. Bartholomäus um 1900, Bibliothek interessanter Criminal-Romane Band 10, 183 Seiten – Übersetzung und Bearbeitung Theo von Blankensee, das ist Matthias Blank; Mi.: Arthur Marchmont: Der Doppelgänger,  Berlin: Berliner Verlags-Institut um 1912, Bibliothek interessante Detektiv- und Kriminal-Romane Band 7, 181 Seiten – anonyme Übersetzung, wohl Neubearbeitung der alten Übersetzung; re.: Arthur Marchmont: Die Brillanten des Pfandleihers, Leipzig: Amboß-Verlag 1924, Amboß-Kriminal-Bücher Band 7, 126 Seite – wohl Neubearbeitung der alten Übersetzung. Daneben gab es noch eine Ausgabe von ca. 1908 bei Reinhold Klinger, diese Ausgabe ist identisch mit der Ausgabe des Berliner Verlags-Instituts [auch die Covergestaltung]. Alle vier Titel dieses Romans sind tatsächlich nur dieser Originalroman: Misers Hoadley’s Secret. A Detective Story, 1902.


Arthur [William] Marchmont, 1852–1923, war ein britischer Schriftsteller und Journalist, der  um die Jahrhundertwende eine Reihe von Kriminal- und Intrigenromane geschrieben hat, die in den USA populärer waren als in England. Einige seiner Kriminal- und Sensationsromane waren echte Bestseller.

Bei allen vier hier verzeichneten Ausgaben handelt es sich um den Roman Miser Hoadley's Secret. A Detective Story, 1902, der vermutlich – wie damals üblich – vorab als Zeitschriftenpublikation veröffentlicht wurde. Daher rührt wohl auch die Ausgabe von H. Bartholomäus, die ich mit um 1900 datiert habe, obwohl dieser Roman in der englischsprachigen Originalfassung erst 1902 in Buchform veröffentlicht wurde. Dieser Umstand ist nicht ungewöhnlich – im 19. Jahrhundert geradezu üblich.

Die vier deutschsprachigen Ausgaben fußen auf einer Übersetzung (?) und Bearbeitung (!) von Theo von Blankensee, das ist Matthias Blank, die um 1900 bei Bartholomäus in Gotha erschienen ist. Dabei legt Blank die Verortung des Romans nach Berlin und verändert auch sonst nach Gutdünken den Originaltext, wie auch die Namen der Figuren, damit diese etwas weniger englisch klingen. Manche Figuren läßt der Übersetzer sogar im Berliner Lokaldialekt berlinern.

Der ganze Roman ist eigentlich eine Kinderei, denn sprachlich wird der Text zu sentimentalem, rührseligem Kitsch, der sich offenbar dem wilhelminischen Publikumsgeschmack anpassen sollte. Ich vermute das Original hatte auch sprachlich mehr zu bieten als diese Übersetzung.

Die Geschichte umreiße ich hier kurz, die Konstruktion der biederen Kriminalgeschichte ist nämlich ganz interessant, allerdings entbehrt die deutsche Fassung nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik, die man in diesem Fall auch nicht mit Ironie verwechseln sollte.

Der Pfandleiher Homer ist ein verknöcherter Geizhals, sein ganzes Leben widmete er seiner Sammlung von seltenen und wertvollen Edelsteinen, dabei fragte er nie, woher die Steine stammen, die er gierig jeder fragwürdigen Quelle abkaufte – dabei war ihm jedes Mittel recht den Verkäufer zu übervorteilen – und demzufolge genoß Homer nicht den besten Ruf in der Stadt.

Doch Homer, der an einer Art Paranoia leidet, fühlt sich von dunklen Mächten verfolgt, vor allem von seinem Todfeind Alex Linner, den er wegen versuchten Mordes vor Jahren ins Zuchthaus gebracht hatte. Aber Linner ist bereits wieder auf freiem Fuß. Das Geheimnis Homers besteht darin, daß er ein Doppelleben führt. Während seine treusorgende Tochter Olga jeden Tag zur Arbeit geht und sich als Schreibkraft verschwendet, dabei auf die Heirat mit ihrem Bräutigam aus chronischem Geldmangel verzichtet, und alles nur um sich ihrem verarmten Vater widmen zu können – während Homer in Wahrheit jeden Tag in sein Pfandleiherkontor geht um sich an seinen Schätzen zu weiden und dubiose Geschäfte zu tätigen, dabei 20.000 Mark auf der Bank hat und mehrere Mietshäuser sein eigen nennt.

Selbstredend ist Homer geizig bis zur Manie, ein Geizhals wie er im Buche steht. Doch eines Tages verspätet sich Olgas Vater, und kehrt auch nicht wieder zurück. Olga, die von dem Doppelleben ihres Vaters nichts ahnt, macht sich große Sorgen – bis sie sich an die Polizei wendet – und  nach und nach die Ermittlungen selbst in die Hand nimmt, denn ihr Vater wurde tot aufgefunden, und bald wird allen Beteiligten klar, daß Homer sich nicht suizidiert hatte. Der Anschein des Selbstmordes trog, Homer wurde Opfer eines Verbrechens. Man fand seine Leiche aufgehangen an einem Nagel in seinem eigenen Kontor.

Olga, die natürlich vollkommen verwirrt ist angesichts des Doppellebens ihres Vaters und ihrer weiblichen Unschuld, hat eine Reihe von Papieren von ihrem Vater geerbt, teilweise in einer Geheimschrift abgefaßt. Darin verweist der Verblichene auf seinen Todfeind Linner, und wenn ihm ein Unglück zustoße, dann habe Linner seine Hand im Spiel.

Doch der echte Alex Linner ist ein freundlicher Mann, der fünf Jahre unschuldig im Zuchthaus gesessen hatte für einen Kerl, der ihm aufs Haar gleicht – nur weiß niemand von dieser Doppelgängerschaft. Und so laboriert der Autor gleich mit zwei interessanten Doppelgängermotiven, zum einen den alten Homer, der seit Jahren eine diskrete Doppelexistenz führt, zum anderen sein Feind Linner, der einen Doppelgänger hat von dem er selbst nichts ahnt.

Am Ende gelingt es Olga und der Polizei das Rätsel zu lösen. Die vier Verbrecher, die an dem Mord an ihrem Vaters verantwortlich sind und den vermeintlichen Selbstmord des alten Pfandleihers vorgetäuscht hatten, und die nach den Schätzen des alten Homer jagten, werden festgenommen und vor Gericht gestellt. Der echte und moralisch integre Alex Linner wird rehabilitiert, Olga heiratet ihren bläßlichen Bräutigam.

Der Roman ist mit den Mitteln der Kolportage verfaßt, die ständige Bedrohung Olgas, die mit Überfällen, Geiselnahme und Einbrüchen konfrontiert wird, ist ein geschickter und plausibler Spannungsbogen. Die Schätze, die Olga nach dem mühseligen Entschlüsseln geheimer Botschaften ihres Vaters endlich entdeckt, müssen in Sicherheit gebracht werden, jedoch sind ihr die Schurken immer auf der Spur und lassen nichts unversucht um die Edelsteine zu rauben. 

Olga mutiert im Verlauf des Romans von einer  hilflosen und einfältigen Berliner Göre zu einer mutigen und rastlosen Ermittlerin, die von ihren Rachegelüsten getrieben wird den Mord an ihrem Vater aufzuklären und den Verbrecher hinter Gittern zu bringen, dabei reflektiert sie durchaus, daß ihr Vater, der Pfandleiher Homer, eine zumindest fragwürdige und nicht einwandfreie Existenz geführt hatte, die seinem dubiosen Charakter geschuldet war.