Anthony Berkeley: »Mord in der Mansarde«, um 1932
von Mirko Schädel
Anthony Berkeley: Mord in der Mansarde, Berlin: Verlag der Zeit-Romane 1932, Veröffentlichung des Kriminal-Klubs,
346 Seiten, Schutzumschlag gestaltet von Heinz Hajek-Halke
Im Gegensatz zu all den schlechten Büchern, die das Genre der Kriminalliteratur hervorgebracht hat, gibt es auch zahlreiche Gegenbeispiele, echte Meisterwerke und qualitativ hochwertige, literarisch anspruchsvolle Kriminalromane – und das in allen Zeiten der über 200jährigen Entwicklung der Kriminalliteratur. Neben Stümpern wie Hilgendorff, Berg Berger oder Willy Reese gab es eine breite Front von mittelmäßigen Autoren und eine kleine Anzahl von Meistern ihres Fachs, zu den letzteren gehört sicherlich Anthony Berkeley, das ist Anthony Berkeley Cox, 1893–1970, der Gründungsmitglied des Detection Clubs war.
Nach der Lektüre von Menschenfackeln von Arthur Oprée ist ein Roman wie Mord in der Mansarde geradezu eine Labsal und der Unterschied dieser Bücher könnte nicht größer sein. Mord in der Mansarde, 1932, handelt von einem Mord an einer älteren Dame, die offensichtlich von einem Einbrecher mit einem Rosenkranz erdrosselt worden ist.
Mit großem Selbstbewußtsein eilt Scotland Yard, verkörpert durch Inspektor Moresby, an den Tatort und holt das große Besteck hervor, nämlich einen umfangreichen Apparat von Spezialisten, die nichts unversucht lassen um geeignete und verwertbare Spuren des Täters zu finden. Inspektor Moresby hat sich bereits vor dem Eintreffen ein Bild des Täters gemacht und glaubt, daß es sich dabei um einen routinierten Einbrecher handeln muß, dem die Tat entglitten ist und der also sein Opfer aus Angst vor Entdeckung erdrosselt habe.
Aber Inspektor Moresby hat dieses Mal einen jungen Schriftsteller namens Roger Sheringham mit zur Tatortbesichtigung genommen, der sich recht bald ein eigenes Bild des Verbrechens macht, das erheblich von den Theorien Scotland Yards abweicht. Diesem Roger Sheringham ist eine ganze Serie Kriminalromane von Anthony Berkeley gewidmet.
Während Moresby die Spurenlage, die nicht sehr ergiebig ist, mit den Methoden bekannter Einbrecher abgleicht und zu dem Schluß kommt, daß es sich hier nur um einen bekannten Kriminellen namens Jim Watkins handeln muß, glaubt Sheringham daß die Spuren zum Teil fingiert sind und nur Verwirrung stiften sollen.
Während Moresby also den Verdacht hegt, daß der Täter von außen in das Mietshaus eingedrungen ist, die alte Dame ermordet, Wertsachen gesucht und gefunden hat und sich dann mit der Beute aus dem Fenster der Küche abgeseilt hat – um dann über eine Mauer des Innenhofes zu klettern und sich und seine Beute in Sicherheit zu bringen, so meint Sheringham, daß niemand von außen in das Haus eingedrungen sei, sondern das der Täter unter den Bewohnern des Hauses zu suchen sei und also ein völlig anderer Verbrechenstypus stattgefunden habe.
Die alte Dame, die ziemlich verwahrlost und einsam in ihrem kleinen Appartment gelebt hatte, hielt eine Schatulle unter ihrem Bett versteckt in dem etwa 500 Pfund Bargeld verwahrt waren. Das Auffinden der Schatulle dürfte wenig Mühe gemacht haben, trotzdem hat der Täter sämtliche Möbel umgestoßen, Porzellan zerschlagen und ein völliges Chaos angerichtet.
Während Sheringham sich mit den Biographien der Mieter dieses Hauses vertraut macht und Klatschtanten aushorcht um auf ungewöhnliche Ereignisse und Charaktere aufmerksam zu werden, wartet Moresby seelenruhig auf die Verhaftung des Einbrechers James Watkins.
Ein besonderes Interesse hegt Sharingham für die einzige Verwandte der Ermordeten, eine Nichte namens Miß Barnett, die auf das Erbe der Tante verzichten will, denn diese hatte ihrem Vater außerordentlich übel mitgespielt – und es gab seit beinah 30 Jahren keinerlei Kontakt zwischen den verfeindeten Familienmitgliedern. Miß Barnett scheint Sharingham ein äußerst interessanter Charakter zu sein, und so stellt er sie als seine Sekretärin an, was zu wirklich komischen Situationen führt.
Eine der Mietparteien behauptet nun, daß aus der Wohnung der alten Dame gegen 1.30 Uhr laute Geräusche hörbar waren – und so geht Moresby davon aus, daß Watkins um diese Uhrzeit sein Opfer getötet habe. Tatsächlich stellt sich der Einbrecher Watkins nach einigen Tagen bei der Polizei, dabei wird klar, daß er für die Uhrzeit ein wasserdichtes Alibi hat. Und Sharingham stürzt sich auf die Mieter des Hauses, denn er ist überzeugt, daß einer der Mieter den Mord durchgeführt haben muß.
Doch Sharinghams Bemühungen führen nur zu vagen Theorien, die sich vorerst nicht beweisen lassen. Interessant allerdings ist die Tatsache, daß es ihm gelingt die Zeit des Mordes gleich zweimal nach hinten zu korrigieren, am Ende wird Sharingham klar, daß die Tat statt um 1.30 Uhr in der Nacht schon am Abend gegen 18.00 Uhr stattgefunden habe. Und damit werden sämtliche Alibis von möglichen Tatverdächtigen unwirksam.
Der Krach aus der Wohnung des Opfers um 1.30 Uhr war nur eine Inszenierung, die den wahren Tathergang und die Tatzeit verschleiern sollte. Insofern war Sharingham durchaus auf der richtigen Fährte, aber das Ende des Romans ist doch überraschender als man glaubt, und ich enthalte mich der Versuchung den Mörder zu verraten.
Eines ist sicher, der Roman lebt sowohl von der Atmosphäre, den intelligenten Dialogen und der treffenden Komik, die Berkeley meisterhaft beherrscht. Sharingham bringt sich und sein Umfeld immer wieder in abstruse und unkonventionelle Situationen, die mich bei der Lektüre zu lautem Lachen animierten. Schon Hitchcock wußte um die Rezeptur von Spannung, die aus einem Wechselbad von Humor und Hochspannung ein raffiniertes Menu zaubert, das keinen Feinschmecker kalt läßt. Genau dies schwebte wohl auch Arthur Oprée mit seinem Roman Menschenfackeln vor, doch fehlt es ihm an den schriftstellerischen Mitteln, während Anthony Berkeley sowohl das Talent als auch die Mittel hinreichend zur Verfügung standen.
In Mord in der Mansarde paart sich soviel Witz und Intelligenz, daß man neidisch werden könnte. Auch die im ersten Drittel des Romans präsentierte, analytische Charakterstudie eines Menschen, der totunglücklich und nervlich zerrüttet ist, weil er so gern einen schöpferischen Beruf ausüben wollte, der es ihm ermöglicht sich auszudrücken, wird von Berkeley hinreißend beschrieben. Statt Romane zu schreiben oder ernste Musik zu komponieren, arbeitet er in einer Werbeagentur, während seine Frau immerhin nichtssagende Erzählungen in billigen Zeitschriften veröffentlicht.
Doch nicht einmal dazu ist jener Mann in der Lage, da er weder die Mittel noch das Talent hat nichtswürdige Geschichten zu erzählen, und selbst wenn er das Talent hätte, nicht wüßte was er eigentlich zu erzählen habe. Auch Berkeleys Schluß dieser Analyse ist wahr und bemerkenswert, denn sie beschreibt, wie ein Mensch, der sich literarisch ausdrücken will, es aber nicht kann, am Ende Kritiker oder Verleger wird und damit ein Ausweichventil für das eigene literarische Versagen schafft.
Vier weitere Übersetzungen von Berkeleys Romanen sind im Ullstein Verlag vor 1945 erschienen, doch vermutlich handelt es sich hier um stark gekürzte, auf ein gängiges Format gebrachte Kriminalromane, die mit dem Original nicht mehr viel zu tun haben.