T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Agatha Christie: »Mord im Vikariat«, um 1929

von Mirko Schädel


Agatha Christie: Mord im Vikariat, Wien: Österreichisches Journal, um 1929, Seite 169–408


Agatha Christie, 1890–1976, hat The Murder at the Vicarage 1930 veröffentlicht und damit ihren ersten Kriminalroman mit der populären Detektivin Miß Jane Marple. Die deutsche Erstausgabe erschien unter dem Titel Mord im Vikariat um 1930 in Wien, Österreichisches Journal, Neue Freie Presse, wo der Roman kurz zuvor in Fortsetzungen erschienen ist. Das Buch habe ich wohl knapp 30 Jahre suchen müssen. Später erschien der Roman unter dem Titel Mord im Pfarrhaus.

Was erwartet der Leser von einem guten Kriminalroman? Daß man auf intelligente Weise in eine andere Welt entführt wird, und daß man seinen Alltag einige Zeit ausblenden kann. Mord im Vikariat ist ein amüsanter, sehr spannender und glänzend konstruierter Kriminalroman, der in einem englischen Dorf spielt. Die Geschichte wird uns aus der Perspektive des Vikars erzählt – in dessen Arbeitszimmer Colonel Protheroe erschossen aufgefunden wird. Protheroe ist in etwas so sympathisch wie heutzutage der Kanzlerkanditat Armin Laschet. Niemand mag den autoritären, alten Knatter, und selbst der Vikar wünschte dessen Tod. Colonel Protheroe ist mit einer erheblich jüngeren Dame verheiratet und hat eine Tochter aus seiner ersten Ehe. Bemerkenswert ist, daß Protheroes junge Gattin offenbar ein Techtelmechtel mit einem jungen Künstler namens Redding pflegt.

Tatsächlich inszenieren Redding und seine Geliebte ein herrliches Schauspiel, denn sie spielen dem Publikum eine Scharade vor, die ihresgleichen sucht. Erst erklärt sich Redding an dem Mord schuldig, daraufhin Mrs. Protheroe – wobei auch das Verhältnis der beiden den klatschsüchtigen Dorfbewohnern zu Ohren kommt.

Doch durch verschiedene geschickt ausgeführte Täuschungsmanöver und Manipulationen der Spuren am Tatort gelingt es dem Duo ihre Unschuld zu beweisen. Nur Miß Marple kommt dem ruchlosen Paar auf die Spur, sie rekonstruiert haarklein alle ihr bekannten Tatsachen – und stellt am Ende mit Hilfe der Polizei dem Mörder eine Falle.

Wer das traditionelle englische Dorfleben schätzt und alte Klatschbasen mag, der dürfte das Buch sehr spannend und unterhaltend finden. Ironie, Lakonie und satirische Kommentare finden sich allerorten. Dieser spritzige whodunit hat mir außerordentlich gefallen. Allerdings muß ich zwei Einschränkungen einfügen. 1. Das Buch, das ich vor Mord im Vikariat begonnen und dann abgebrochen habe, war Heinrich Tiadens Der Meerteufel. Nach dieser Lektüre erscheint einem wohl jedes halbwegs gut geschriebene Buch wie ein Meisterwerk. 2. Die Übersetzung holpert etwas, die hätte man sorgfältiger machen können.